Null Programm: Warum Die Linke Gelsenkirchen sich ändern muss
Nach für linke Politik in Gelsenkirchen schwierigen Jahren 2007, 2008, 2009 und 2010 hat sich die Situation zum Jahresende 2010 überraschend aber auch sehr schnell geklärt. Sieben Leute, die zur Kommunalwahl 2009 auf den Listen der Gelsenkirchener Linke angetreten gewählt worden sind, haben die Partei jetzt unter Mitnahme der Mandate verlassen. Ein wenig Schadenfreude über diesen Vorgang kann ich nicht verhehlen, gehöre ich doch zu den Linken, die ab Februar 2009 als „Die Linke Alternative – Offene Liste Gelsenkirchen“ gegen genau diese Kandidaten angetreten und dafür aus der Partei ausgeschlossen worden sind. Die Ereignisse im Dezember 2010 haben unsere Kritik aus 2009 nachdrücklich bestätigt. Doch genug davon.
Jetzt steht die Gelsenkirchener Linke vor einem Scherbenhaufen. Zahlreiche engagierte Leute haben die Partei seit ihrer Gründung 2007 verlassen, sind wie Sandra oder Marlies ausgetreten oder wie Franz und Dennis zu den Grünen gewechselt, haben wie wir Die Linke Alternative gegründet und sind entweder selbst ausgetreten oder wegen parteischädigenden Verhaltens ausgeschlossen worden. Wer mag da überhaupt noch übrig sein? Sandra hat in ihrem sehr schönen Blogeintrag (http://sandra.initiative-links.com/2007/09/02/die-linke-in-gelsenkirchen-gegrundet/) über die Gründung der Linke in Gelsenkirchen am 1.9.2007 berichtet, dass die neue Partei sich mit 185 Mitgliedern gegründet hatte. Ich wage gar nicht zu fragen, ob Die Linke in Gelsenkirchen noch über 100 Mitglieder hat, oder schon unter diesen Wert gerutscht ist.
Doch es gibt auch positive Zeichen. Die heftigen Auseinandersetzungen im Forum derwesten.de und in den Kommentaren zu dortigen Artikeln scheinen der Vergangenheit anzugehören. Vielleicht ist man in der Restmitgliedschaft der Partei der ständigen inneren Auseinandersetzungen müde, vielleicht sind auch kaum noch Streithähne übrig. Jedenfalls ist das ein guter Anfang. Dennis Ratschlag in einem Kommentar ist sehr kurz und klar: „zusammenwachsen, KV aufbauen, lebendig machen. Menschlich zusammen kommen.“ Vor allem die letzte Forderung, menschlich zusammen kommen, scheint mir die erste Aufgabe der Gelsenkirchener Linke zu sein. Es kann doch nicht sein, dass man ständig aufeinander losholzt und dabei den politischen Gegner übersieht. Wenn man die am Boden liegende Partei erfolgreich wieder aufbauen möchte, sollte das die erste Forderung an jedes einzelne Mitglied sein: einander zuhören und sich einander zuwenden.
Natürlich gibt es keine „Stunde Null“: Wer die jetzt ausgetretenen Mandatsträger unterstützt hat, sollte sich schon fragen (lassen), aus welchem Grund das geschah, welche persönlichen Ambitionen dahinter steckten, welche Hoffnungen, welche Wünsche, welche Irrtümer. Und: persönliche Ambitionen sind nicht per se etwas schlechtes, jeder hat sie (hoffentlich). In einer politischen Partei muss man jedoch erwarten können, dass die persönlichen Ambitionen zu den politischen Zielen der Partei passen, und nicht im Gegensatz zu ihnen stehen. 400-Euro-Jobs für alle sind sicher kein politisches Ziel.
Politische Ziele der Linke sind beispielsweise die Forderungen nach Abschaffung von Hartz IV, nach Einführung eines Mindestlohns und nach dem sofortigen Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Damit hatte sich die aus PDS und WASG ab 2005 entstehende Linkspartei bundesweit erfolgreich öffentlich positioniert und das Thema „Soziale Gerechtigkeit“ als ihren Markenkern etabliert.
Die Herausforderung in Gelsenkirchen besteht darin, diese großen Themen in die Alltagsarbeit einfließen zu lassen. Ich will das an einem Beispiel zeigen, welches mir sehr am Herzen liegt. Bei der Vorstellung des Gutachtens für den Schulentwicklungsplan 2009 wurde u.a. vorgeschlagen, ein Gymnasium umzuwandeln. Nun sollte man wissen, dass das Gymnasium Teil eines gegliederten Schulsystems ist, in dem die Chancen für Unterschichtskinder weitaus schlechter sind, als für Kinder der Mittel- und Oberschicht.
Statt sich, wie es die ehemalige „linke“ Ratsfraktion getan hat, populistisch auf die Seite der Eltern zu stellen, die für den Erhalt „ihres“ Gymnasiums kämpfen und ein Lob von der CDU einzuheimsen, wäre es die Aufgabe einer Linke-Fraktion gewesen, sich für mehr soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Dabei hätte man sich bloß auf das eigene Wahlprogramm stützen müssen, mit dem man schließlich zur Wahl angetreten und gewählt worden ist. Das hätte bedeutet, sich für einen Umbau des Schulsystems stark zu machen, der zur „Einen Schule für Alle“ führt und die Umwandlung zu befürworten.
Doch war das „eigene Wahlprogramm“ eben kein „eigenes“ Wahlprogramm, sondern in weiten Teilen von der Offenbacher Linke abgeschrieben worden. Bereits im Vorfeld der Wahl haben die Kandidaten und die Partei auf diese Weise gezeigt, dass sie die Probleme Gelsenkirchens gar nicht selbst in einem Wahlprogramm beschreiben können.
Um so etwas zu können, und hier komme ich zur zweiten Aufgabe, die die Mitglieder der Gelsenkirchener Linke vor sich haben, benötigt man Wissen. Ich weiß nicht mehr, ob es der alte Sozialdemokrat August Bebel war, der den Satz „Wissen ist Macht“ geprägt hat. Denn: wer politisch gestalten will, Politik „machen“ will, muss erst einmal gehört werden. Um gehört zu werden, muss man eine fundierte Meinung besitzen, diese ausdrücken und in Diskussionen mit Andersdenkenden auch mit Worten verteidigen können. Um das zu können, braucht es Bildung, politische Bildung. Und eine Partei braucht Strukturen, in denen politische Bildung stattfinden kann, Wissen sich angeeignet werden kann.
Der Scherbenhaufen der Gelsenkirchener Linke besteht nicht nur in einer dezimierten Mitgliedschaft und einer nicht erkennbaren inhaltlichen Position, die über Schlagworte wie „Weg mit Hartz IV“ hinausgeht, sondern auch in einer desolaten Organisationsstruktur, die sich an einer überholten Vereinsmeierei aus dem 19. und 20. Jahrhunderts orientiert. Der Anspruch vieler Ex-WASGler auf monatliche Mitgliederversammlungen und auf fünf Parteibezirke unterhalb der Ebene des Kreisverbandes, begründet in dem nie näher hinterfragten Anspruch auf „Basisdemokratie“, ist bei einer Mitgliederzahl von vermutlich weniger als 100 Mitgliedern nicht zu halten. Es sei denn, man möchte den Vorstand nur noch mit organisatorischen Fragen (Einladungen, Protokolle etc.) beschäftigen.
Sinnvoll wäre eine Konzentration auf inhaltsbezogene Strukturen in denen sich politische Bildung organisieren lässt, weniger auf Vereinsstrukturen. Das könnte bedeuten, die Parteibezirke aufzuheben, die Mitgliederversammlungen vierteljährlich durchzuführen und die gewonnene Zeit für die inhaltliche Arbeit in Arbeitsgruppen und Einzelveranstaltungen, die allen Parteimitgliedern und interessierten Menschen offen stehen sollten, zu verwenden. Auch hier ein persönliches Beispiel: Mein Interesse, eine wenn auch öffentliche Mitgliederversammlung zu besuchen, in der es um irgendwelche Nachwahlen zu irgendeinem Gremium, irgendwelche Berichte und Verschiedenes geht, ist gleich Null. Eine Veranstaltung, in der beispielsweise ganz konkret Die Linke über ihre Position zum Schulentwicklungsplan diskutieren will, könnte ich mir durchaus vorstellen zu besuchen. Das wird anderen Sympathisanten bei anderen Themen ähnlich gehen.
Für Die Linke hätte diese Methode den Vorteil, vom Wissen Außenstehender, die der Linke dennoch nahe stehen, zu profitieren und in die eigenen Positionen einfließen zu lassen, sowie verloren gegangenes Vertrauen zurück zu gewinnen. Natürlich bliebe es den Parteimitgliedern vorbehalten, auf einer Mitgliederversammlung Position und Programm zu beschließen. Erfolgreich durchgeführt, würde es bedeuten, dass Die Linke Gelsenkirchen zu einer lernenden Organisation wird, die nicht schon alle Antworten parat hat, sondern diese im solidarischen Miteinander sucht. Eine solche Partei könnte ich zur nächsten Kommunalwahl 2014 auch wieder wählen …
Gastartikel von Knut Maßmann