Zusammenprall der Kulturen: Rezo und die CDU bzw. SPD
Reden wir mal Tacheles heißt ja bekanntlich, wenn es um grundlegende Dinge geht. Dass der Youtuber Rezo das vor knapp sechs Tagen getan hat, das hat mittlerweile die Medien der Republik erreicht – und vorher und jetzt noch knapp vier Millionen Menschen, die seinem Hauptkanal abonniert haben. Diese Zahl wird bis Sonntag sicherlich noch zunehmen, das steht völlig außer Frage. Dass die Politiker der angesprochenen Parteien momentan keine gute Figur machen, das ist eine Andere. – Wer das Video noch nicht gesehen hat, der klicke hier:
Es scheint, als wisse man in der Führungsebene von CDU und SPD, die genauso angesprochen wird im Video, nicht so ganz, wie man auf diese unerwartete Entwicklung reagieren soll. So kurz vor der Europa-Wahl ist es natürlich wichtig, einen geschlossenen Eindruck zu vermitteln, auf die Erfolge hinzuweisen, die man gehabt hat und da stört ein aus dem Nichts kommendes Video. Ein Video, das auf einer Plattform veröffentlicht wurde, die überwiegend von jungen Leuten genutzt wird. Wobei: Diese jungen Leute empfehlen mit einem Klick das Video weiter, schicken es an die Eltern, Großeltern. Die virale Welle läuft.
Dabei hätten die Politiker vor Wochen und Monaten noch üben können, mit solchen Videos umzugehen. Denn der Kern der Empörung, die Rezo hier treibt, hat auch seinen Ursprung im Umgang mit den Protestlern*innen gegen das Urheberrechts-Reformverfahren der EU. Vielleicht nicht in erster Linie, aber sicherlich trägt das zur Viralitätswelle momentan bei. Die CDU hätte durchaus souverän auf die Kritik von Rezo reagieren können. Die ersten Stellungnahmen per Twitter hieben aber genau in die gleiche Kerbe wie vor Monaten. Da wurde mit den Begriffen von Fakenews agiert, von Polemiken, es wurde über die Haarfarbe gespöttelt. Souverän geht anders.
Jetzt ist ein Video von Rezo keine sachliche Dokumentation des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks. Dazu sind die Medien zu verschieden und auch die Arbeitsweise. Aber: Rezo selbst arbeitet in gewisser Weise wie DIE ANSTALT im ZDF. Zu deren Sendung gibt es ebenfalls immer eine Liste mit den Quellen, die man nach der Sendung abarbeiten kann. Wenn die CDU in ihrem Antwortschreiben – ein Antwortvideo, ein Antwortschreiben, das sagt schon Einiges aus – darauf referiert, dann hat sie das Format von Rezo nicht verstanden:
Verkürzen, verzerren, verdrehen – das ist Populismus. Überzeichnen, übertreiben, überspitzen: wir distanzieren uns zu Recht von dieser Art, Politik zu machen.
Natürlich spitzt Rezo zu und er benutzt eine Sprache, die seinen Zuschauern entgegenkommt. Normalerweise sind die keine fast einstündigen Videos von ihm gewohnt und die Dramaturgie einer Sendung bedarf halt gewisser Mittel. Natürlich spricht das Rezo nicht frei davon, ab und an energisch seine Meinung zu vertreten, mag sein, dass er über das Ziel hinausschießt, ein Hauch von gerechtem Zorn schwingt da bei einigen Themen mit. Und Zorn ist nicht immer sachlich-kritisch. Jedoch: Seine Meinung ist mit einer mehr als nur Handvoll von seriösen Quellen untermauert und unterfüttert. Zudem: Im Zuspitzen hat Horst Seehofer doch die Krone errungen oder wer wollte sich gegen Flüchtlinge, die nur des Geldes wegen nach Deutschland kämen, „bis zur letzten Patrone“ wehren? Die Union sollte nicht ihre Hände in Unschuld waschen wollen und dezent dann unterschwellig Rezo Populismus vorwerfen. Das kann die Union nämlich auch ganz von selbst.
Dass die CDU auf ein Antwortvideo verzichtet und stattdessen einen Brief schreibt – dessen Anschreiben komplett auf der Homepage zu finden ist, aber leider nicht das PDF mit allen Beiträgen zu Rezos Kritik, als ob das Internet ein Platzproblem hätte – zeigt, dass sie das Prinzip Augenhöhe nicht verstanden hat. Es gibt die Einwände, dass ein Antwortvideo in jedem Fall in einem Kommentar-Shitstorm untergegangen wäre, es hätte nur neues Öl ins Feuer gegossen und es hätte keinen Kritiker überzeugt. Besser, man stellt sich nicht in den Ring. Wenn jedoch der Noch-EU-Abgeordnete Tiemo Wölken ein sachliches Antwortvideo schneller online stellt als die CDU – der Politiker gehört zur SPD, die auch von Rezo kritisiert wurde – dann fragt sich: Warum kriegt die CDU das nicht auf die Reihe?
Vielleicht, weil Tiemo Wölken die YouTube-Kultur nicht fremd ist. Der Politiker veröffentlicht regelmäßig Videos, erklärt, was die EU macht und hat bei der Diskussion um Artikel Dreizehn auch seine Stimme gegen die Reform erhoben. Seine Zuschauer vertrauen ihm. A propos Vertrauen …
Die Währung von YouTubern sind Klickraten. Die Währung einer Volkspartei wie der CDU ist Vertrauen.
Hier zeigt sich besonders der Zusammenprall der Kulturen. Denn Vertrauen ist bekanntlich der Anfang von Allem, um mal einen Werbeslogan zu zitieren, der aber das genau auf den Punkt bringt. Zuschauer gehen bei jedem Medium erstmal in Vorleistung was das Vertrauen angeht. Ein Beispiel: Ich vertraue darauf, dass das ZDF, dass EinsLive, dass ARTE gute und relevante Inhalte für mich produziert. Ich vertraue nicht darauf, dass RTL das tut, weil ich RTL seriösen Journalismus nun nicht abnehme. Eine RTL-Dokumenation hat also erstmal weniger Vertrauen von mir bekommen als eine vom ZDF. Vertrauen muss auch erstmal wachsen und mit der Zeit merke ich ja, ob ich Jemandem vertrauen kann oder auch nicht. Das muss man sich erarbeiten. Die Währung von Youtuber ist genauso wie bei der CDU das Vertrauen. Da gibt es keinen Unterschied. Alles andere folgt erst aus diesem Vertrauen heraus: Das Abonnieren, das Liken, das Glocken und das Kommentieren. Was bei der CDU und anderen Parteien übrigens auch erfolgt: Ich gebe denen meine Stimme – ich abonnieren deren Druckerzeugnisse – ich bekomme Post mit Neuigkeiten – ich kommentiere deren Politik. Der Versuch der Diskreditierung an dieser Stelle geht also ins Leere.
Ein Antwortvideo mit Philipp Amthor – von dem die CDU behauptet, es wäre ein klasse Produkt, was man aber nicht beurteilen kann, weil man es ja nicht selbst gesehen hat – hätte sicherlich die Social-Media-Beauftragten der Partei für einige Tage beschäftigt. Angesichts der zu erwartenden Kommentare. Aber dafür werden die ja auch bezahlt: Sich um Krisen zu kümmern. Zudem kann man bei YouTube auch Kommentare deaktivieren. Was natürlich auch nicht gut angekommen wäre, aber dann hätte man sich halt nicht drum kümmern müssen. Und ja, ein Video mit Amthor hätte keinen Kritiker ernsthaft überzeugt. Aber die Nicht-Veröffentlichung von schon gedrehtem Material – vermutlich ging das eher in Richtung Imagewerbevideo – kann man auch so auslegen: Der CDU geht der Popo auf Grundeis, die CDU hat kein Interesse an einer Auseinandersetzung mit einem Bürger auf Augenhöhe, die CDU ist tatsächlich so arrogant und ignorant, wie alle das schon vor Monaten bei den Protesten ums Urheberrecht erfahren haben.
Es wäre jedoch souverän gewesen. Es wäre ein Beispiel dafür gewesen, dass eine Partei Haltung zeigt. Dass ein Partei Kritik an ihr mit Würde und Contenance erwidern kann. Es hätte der CDU gut angestanden, sich hier aktiv einzumischen. Noch mehr Haltung hätte die Partei gezeigt, wenn die Vorwürfe von Fakenews gar nicht erst geäußert worden wären – damit riss man nämlich bei den Jugendlichen gerade noch nicht ganz verheilte Wunden auf. Jedenfalls zeigt sich: Das Internet ist für Politiker immer noch Neuland. Es ist das unbekannte Land, in dem ein Mensch mit blauen Haaren Kritik an der Bundesregierung üben kann und der weit mehr Zuschauer erreicht als so manche Sendung im linearen Fernsehen. Es wird Zeit, dass Politiker sich endlich mit diesem Neuland vertraut machen. Und man sollte es nicht unterschätzen: Nach der EU-Wahl ist vor der Kommunalwahl in NRW ist vor der nächsten Bundestagswahl. Bis dahin bleibt das Video auf den Servern von YouTube erreichbar. Und taucht sicherlich bei der Eingabe von CDU in den Suchschlitz von Google auf …