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Deutschland braucht eine Heimatzuständigkeit – aber nicht, was die CSU darunter versteht

Dass Horst ​Seehofers Innenministerium in der Neuauflage der Großen Koalition eine Zuständigkeit für Heimat angegliedert werden soll, hat bei der Opposition die Diskussion intensiviert, ob auch die politische Linke den Heimatbegriff fortschrittlich b​esetzen soll oder ob Heimat ein reaktionärer Begriff ist, der der Ausgrenzung dient und deshalb dem politischen Gegner überlassen werden sollte. Die Diskussion krankt großenteils daran, dass Heimatzugehörigkeit zu eng, nämlich rein örtlich und im Sinne von Volk definiert wird.

Das Wort „Heimat“ löst in Deutschland schon seit Langem kontroverse Diskussionen aus, was daran liegt, dass es hierzulande politisch vorbelastet ist. Die architektonische Heimatschutzstil bildete eine Gegenbewegung zur internationalen Moderne, die Nazis instrumentalisierten Heimeligkeit und Heimat als Deckmäntelchen für den Massenmord, und der Heimatfilm schuf in den Fünfzigern eine künstlich verklärte Idylle, die darüber hinwegtäuschen sollte, vor wie kurzer Zeit in Deutschland Krieg herrschte. Davon wollten sich die 68er abgrenzen – und sahen sich als Weltbürger oder Europäer, nicht als Deutsche. Auch heute gilt es in fortschrittlichen Kreisen der Bionade-Bourgeoisie als schick, kosmopolitisch zu sein, mit dem Flugzeug um den Globus zu jetten und eine universalistische Ethik zu vertreten, wonach die Menschenwürde gleichermaßen auf jedem Flecken der Erde zu verteidigen sei.

Nun ist die Zuständigkeit für Heimatangelegenheiten für den Bund nicht neu erfunden worden – in Bayern ist Markus Söder (CSU) Heimatminister, in Nordrhein-Westfalen ist Ina Scharrenbachs (CDU) Kommunalministerium die Zuständigkeit für Heimatangelegenheiten zugeschlagen worden. Ich finde es schon ein wenig skurril, dass ein als typisch bayrisch wahrgenommener Politiker wie Horst Seehofer, der als Ministerpräsident gerne die Linie „mia san mia“ und „Bayern gegen Deutschland“ fuhr, plötzlich auch für meine Heimat im Revier zuständig sein soll. Und hier kommen wir auch schon dem falschen Kitsch des Projekts auf die Spur: Ausgerechnet der Mann, der jahrelang dagegen gekämpft hat, dass Bayern, das früher rückständiges Agrarland zu den Nehmerländern im Finanzausgleich gehörte, sich in besseren Zeiten gegenüber Nordrhein-Westfalen solidarisch zeigt, dessen durch Schwerindustrie erwirtschaftete Gewinne uns vor dem Strukturwandel jahrzehntelang zum Geberland machte: Ausgerechnet der soll also den Deutschen das Heimatgefühl zurückgeben? Wir ahnen also, von christlicher Nächstenliebe (dem Buchstaben „C“ im Parteinahmen) keine Spur – dem konservativen Heimatpolitiker geht es vor allem um Ausgrenzung. Wenn man Seehofers Einwanderungspolitik die letztem Jahre verfolgt hat, dann war es ihm ein besonderes Anliegen, dass die Deutschen im Allgemeinen und die Bayern im Besonderen sich nicht aufgrund neuer Mitbürger fremd im eigenen Land fühlen sollen.
Dabei ergäbe es durchaus Sinn, etwas dafür zu tun, dass Menschen sich wieder mehr zugehörig fühlen können. Leider haben die Regierungen der letzten Jahrzehnte, auch und gerade solche mit CSU-Beteiligung, und die Sozialdemokraten waren alles andere als unschuldig dabei, im Namen des Neoliberalismus das glatte Gegenteil praktiziert. Soziale Sicherheiten wurden den Menschen im Namen der Wirtschaft weggenommen. Dank des abgesenkten Rentenniveaus und des Pflegenotstands ist der Altersruhestand nun zu etwas geworden, auf das sich Durchschnittsverdiener immer weniger freuen können und das sie immer mehr fürchten müssen. Immer mehr Hartz-IV-Empfänger verlieren ihren Stromanschluss oder werden obdachlos. Das eigene Dach über dem Kopf, früher eine Selbstverständlichkeit, wird dank rasant steigender Mieten immer mehr zum Luxusgut und Spielball der Investoren. Junge Menschen müssen möglichst mobil sein, sofern sie befristete Arbeitsverträge haben, mit denen die Arbeitgeber – gerade auch der Staatsdienst – täglich das Signal aussenden: Du gehörst nicht richtig zu uns, du hast hier keine feste Heimat. Bewohner ländlicher Regionen fühlen sich dadurch abgehängt, dass sie von einer guten Internet-Versorgung abgeschnitten sind, also ihnen der Draht zur Welt vorenthalten wird, der das Heimatgefühl als dessen Ergänzung erst vervollkommnen würde. Das Geld und auch das Gehirnschmalz für eine anständige Integration der hier lebenden Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt wird eingespart, so dass diese daran gehindert werden, sich hier als vollwertige Bürger heimisch zu fühlen, zum Steueraufkommen beizutragen und von staatlichen Sozialleistungen unabhängig zu werden – weil Heimat ausschließend statt einschließend interpretiert wird. Das Gedankengut von Blut und Boden in der politisch halbwegs korrekten Variante.
Was kann man an diesen Beispielen sehen? Heimat und Weltoffenheit sind keine Gegensätze, sondern bedingen einander wie Yin und Yang. Ein kalter Staat, der seine Bürger völlig ihrer Eigenverantwortung überlässt und dessen höchste Vertreter lieber mit den Vertretern der Großindustrie gemeinsame Sache machen, anstatt vernünftige Rahmenbedingungen für alle zu schaffen, macht sich unglaubwürdig und wird kein echtes Heimatgefühl hervorrufen. Nur ein gut organisierter sozialer Wohlfahrtstaat und Solidarität als Geisteshaltung vermögen zu leisten, dass sich die Mehrheit von uns gut aufgehoben fühlt. Und da kann gerade auch die Sozialdemokratie eine verdammte Menge leisten – wenn sie endlich schonungslos mit ihrer eigenen Politik des Dritten Weges und der Neuen Mitte, beispielsweise der Agenda 2010 und der Riester-Rente aufräumt. Wenn die Genossen wieder eine echte politische Heimat für den linken Teil des Spektrums bieten, und das nicht nur als Ritual kurz vor der Wahl oder auf Gewerkschaftstagungen, sondern durch nachweisliche Taten.
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