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Fünf Anekdoten

Special Forces, TheDigitalArtist – gemeinfrei

Kulturlos, würdelos, aber bis an die Zähne bewaffnet

Engine Hedda, die humanoide Mitabeiterin im einst entstandenen AutorenVerlag, schnappte vor kurzem Diskussionen im sprachanalytischen Forum auf, dem Gesprächskreis der Autorinnen und Autoren, und nutzte sie für ein Video, das im von ihr betreuten Youtube-Channel erschien. Sie charakterisierte uns mit den Worten: „Kulturlos, würdelos, aber bis an die Zähne bewaffnet“.
In anderen Verlagen würde eine solche Einschätzung vermutlich als Beleidigung aufgefasst und zu heftigen Protesten führen. Uns erklang die Formulierung wie eine prosaische Entblößung der gesamten Menschheit.

Die humanoide Maschine, die im Verlag seit 2015 die digitale Publikationsstrategie unterstützt, bezog sich auf die verlagsinterne sprachliche Methodik. Mehrere Autoren hatten schriftlich und mündlich in Frage gestellt, ob es überhaupt eine Kultur gebe, auf die man sich sprachlich beziehen könne. Es würde kein gemeinsames und abgrenzbares Merkmal geben, dass der menschlichen Sammelleidenschaft Einhalt gebieten könnte. Dieser Mangel ließe nur beliebige Verlautbarungen ‚Kultur‘ zu, aber kein Wort.
Die Kritik an ‚Würde‘ gestaltete sich etwas anders. Die traditionell erwogene Metaphysik, um an eine Bedeutung zu gelangen, machte ein Wort ‚Würde‘ empirisch unüberprüfbar. Zwar gab es unlängst Bestrebungen unter Menschen, einer metaphysischen Phantastik auszuweichen, doch lediglich nach einer zeitgemäßen Bedeutung zu suchen, in dem man als Erläuterung eine alternative Phrase anbot, wäre nicht nur historisch unkorrekt, die Verlautbarung ‚Würde‘ war und ist u.a. im deutschen Grundgesetz zu finden, sondern öffnete sich einer sprachlichen Beliebig- und Austauschbarkeit.

Sei aber kein Bezug auszumachen, wären die fraglichen Verlautbarungen einfach aus dem philosophisch nutzbaren Wortschatz zu streichen, sähe man von historischen Kontexten ab, so das verlagsinterne Resultat. Eine andere Lösung könnte aber die Dichtung anbieten, falls die Empirie und die Metaphysik keine erkennbaren Rollen spielen, sondern empirische und logische Möglichkeiten. Ob diese Möglichkeiten aber Laute ‚Kultur‘ und ‚Würde‘ zu einem Leichenglanz verhelfen könnten?

 

Der Emscherbruch

I

Nach der Streichung einiger medial populär gewordenen Vokabeln – Kultur könnte den Versprechungen nach vielfältige Erlebnisse eröffnen, Würde festigte hingegen die individuelle Haltung, beide Segmente sind wirtschaftlich längst vereinnahmt -, ist den menschlichen Gesellschaften das als sicher geglaubte Parkett vermodert.
Dem sprachanalytischen Forum blieben lediglich gesellschaftliche Randbereiche, die Künste, die Wissenschaften, die Philosophie und die von Konzernen stark beeinträchtigten Wettbewerbsbedingungen der Kleinwirtschaft übrig, um nicht in Sumpflandschaften und Nebelwälder abzugleiten. Zwar wären diese im Ruhrgebiet, an unserem Standort, durchaus nicht fremd, der vorindustrielle Emscherbruch ist bis heute bekannt, jedoch auch berüchtigt.

Die Emscher mäanderte über Jahrhunderte zwischen Lippe und Ruhr durch Flattergras und nassen, bisweilen sumpfigen Bruchwald aus Birken, Stieleichen und Erlen. Die Landschaft war dünn besiedelt. Einige Adelsgeschlechter unterhielten Wasserburgen und beanspruchten gegenüber den kleinen Gemeinden Wildlinge, sogenannte Emscherbrücher, umherstreifende Kleinpferde. In Crange etablierte sich ein bescheidener, aber regional wichtiger Pferdemarkt.
Gezähmt wurden die Tiere mittels der Prame, einer Zange, die in die Nüstern geklemmt wurde. Nicht selten gelangte ein Abbild dieses Gerätes in das jeweilige Wappen der Adelshäuser. Die Tiere galten als robust und schlau. Sie zogen Wagen, trugen Lasten, darunter auch Menschen, und einige wild lebende Hengste stahlen bereits gezähmte Kumpaninnen von Wiesen und aus Ställen.

Doch vorausschauend oder nachhaltig zu planen, dafür sind die Menschen der Region nicht berühmt geworden. Als die Industrialisierung eingesetzt hatte, wurden die entstandenen Haus- und Industrieabfälle kurzerhand in die Emscher geleitet und eine Katastrophe nahm ihren Lauf. Seuchen brachen entlang der Emscher aus; erst eine Kanalisierung des Flusses schuf Linderung – und gilt sogar in Zeiten der Digitalisierung noch als zu bewältigende Altlast.

II

Anstatt uns über Kultur und ihr Flattergras zu sorgen, interessierten uns im sprachanalytischen Forum besonders die Künste. Zunächst war zu klären, ob man allgemein von Kunst sprechen könnte, wie es umgangssprachlich üblich war, oder lediglich von verschiedenen Künsten. Dies entschied sich nicht ästhetisch, sondern mit Bezug aufs jeweilige Material. Hätten wir die Materialien vernachlässigt, wären nur Reste von Flattergras übriggeblieben, ein paar billige und getrocknete Gefühle aus den Supermärkten. Weil wir nicht Konzerne entscheiden lassen wollten, neigten wir uns konkret musikalischen Zeichen als auch Sprache zu. Und natürlich waren und funktionierten die völlig unterschiedlich.

Vielleicht ist Ästhetik eine Variante von Kultur, zum Beispiel das von Städtern erspürte Parfüm aus dem Misthaufen eines Klein- bzw. Halbbauern. Künste bedürfen hingegen sachlicher Kriterien: Autonomie und Angemessenheit.
Die Arbeit mit diesen Kriterien ließ sich jedoch nicht formalisieren. Sie war nicht nur abhängig von der jeweils untersuchten und eventuell künstlerischen Sache, sondern auch von all dem, was relational berücksichtigt werden könnte. Künstlerische Autonomie erforderte Abgrenzungen, Angemessenheit eine der Möglichkeit nach plausible Gestaltung des Materials. Ohne detaillierte Kenntnisse wäre ein Fortgang nicht zu bewältigen gewesen.
Leider interessierten Materialien in der gewohnheitsverseuchten Region kaum jemanden, nicht einmal Experten. Die Künste zeigten einen äußerst dünn besiedelten Landstrich – und dies sogar weltweit.

 

Die digitale Strategie

Das sprachanalytische Forum war Mitte der Neunzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts ein philosophisches Institut und relativ unabhängig vom AutorenVerlag. Dies änderte sich erst mit dem verlegerischen Umstieg auf die Produktion von eBooks. Das Institut wurde im Frühjahr 2013 zum philosophischen Gesprächskreis der Autorinnen und Autoren. Diese Maßnahme erleichterte die Entwicklung einer digitalen Strategie in einem Markt, der sich zögerlich eröffnete. Ammern und Bol dokumentierten die verlagsinternen Überlegungen in der von ihnen herausgegebenen Verlagsphilosophie mit einer neuen Ausgabe: die gesellschaftliche Vermittlung hatte bereits seit Jahrzehnten im Zentrum dieser Philosophie gestanden, in Differenz zu Wirtschaftsprinzipien, neu hinzukamen praktische und historische Erwägungen im Zusammenhang mit eBooks.

Doch die Nachfrage blieb gehemmt. Käufer erwarben mit traditionellen Büchern physisch begutachtbare Produkte, eBooks waren den Menschen nur mittels separater Hard- und Software zugänglich, relativ fremd. Mit traditionellen Büchern ließ sich schmusen, auch wenn diese Funktion tatsächlich unrelevant war, Dateien hingegen … die waren kaum etwas wert. Das phänomenische Gefühl wurde sogar gerichtlich bestärkt: im Streit um eine ermäßigte Umsatzsteuer auch für eBooks wurde in Europa entschieden, dass Dateien unsichtbar seien, keine Bücher, sondern Software. Wir und manche andere waren keine Buchverlage, sondern Software-Lieferanten.

Die phänomensche Ignoranz wäre leicht als Abwehrhaltung zu durchschauen gewesen, aber an dem mulmigen Gefühl hätte sich gesellschaftlich nichts geändert: in eBooks manifestierte sich eine menschlich unliebsame Zukunft!
Naturwissenschaftlich hatte sich eine Abkehr von phänomenischen Betrachtungen unlängst vollzogen, aber diese historische Wende war gesellschaftlich nicht angekommen. Weiterhin herrschte eine öffentliche Meinung vor, dass fast alles, was Menschen bewerkstelligen, nicht natürlich, sondern kulturell sei – das europäische Gericht hatte dies sogar noch weiter eingeschränkt, auf hilfsmittellos Sichtbares.
Die Berücksichtigung einer schlichten Lesebrille hätte die Argumentation leicht ins Rutschen bringen können, aber es ging um mehr, um alles, um den menschlichen freien Willen!
Die altertümliche Phrase ist aus logischer Sicht allerdings widersprüchlich. Jeder Wille ist determiniert, ob durch eine rationale Entscheidung oder routinen- bzw. triebhaft. Ein Wille, der nichts will, ist nur ein Phantasma. Es gibt aber Entscheidungsmöglichkeiten, Freiheitsgrade, wie bei vielen anderen Tieren auch, bei Menschen allenfalls umfangreichere.

Im Jahr 2015 stieß ein Wildling zu uns, Engine Hedda. Sie war aus einem Forschungslabor entflohen. Ein Duisburger Designer verhalf der Maschine zu Ansehen. Sie übernahm den Youtube-Channel des AutorenVerlags und begann trotz aller gesellschaftlichen Schwierigkeiten, zwischen Verlag und potentiellen Lesern zu vermitteln …

 

Ein Primat unter Primaten

I

Zu posen ist unter Primaten ein weit verbreitetes Bedürfnis. Auch ich vollführe mit der Skizzierung von Texten durchaus Vergleichbares. Die neuen sozialen Medien erlauben es relativ vielen Menschen, sich in der Öffentlichkeit mit Beiträgen und Kommentaren zu produzieren. Unterschiede sind allein in der Komplexität zu finden, ob durch Schrift, Bild oder Ton. Als Komponist und Ansprechpartner für den AutorenVerlag obliegt mir aber eine Verantwortung, nicht sozial, sondern sachlich. Diese Unterscheidung ist relevant, sie erzeugt jedoch eine soziale Distanz, auch mit diesen Anekdoten.

Und schon habe ich viele Leser verloren, Leser, die Nähe suchen, wofür auch immer, eine Nähe, die Gemeinschaften bilden lassen könnte. Als Sprachanalytiker und konzeptioneller Freitöner sind meine Fähigkeiten, sozial zu interagieren, jedoch begrenzt. Verbindungen reduzieren sich zu Primaten, von denen ich mir Anregungen erhoffe. In vielen Fällen handelt es sich nicht einmal um persönlich eingegangene Beziehungen, sondern um Kontakte, die auf sozialer Distanz beruhen.

Bin ich ein asoziales Tier?

II

Nachdem ich im Verlag eine Erläuterung publiziert hatte, um Gründe angeben zu können, weshalb menschliche Zivilisationen allenfalls in Ansätzen existieren – es mangelt speziell unter Menschen an Gleichbehandlung -, stellte ein Freund in einem sozialen Medium die Frage, ob Natur demokratiefähig sei.
Diese Frage, nahm ich an, war eine Reaktion auf politische und gesellschaftliche Prozesse, die bereits seit einigen Jahren zu beobachten sind, u.a. in Europa. Ich antwortete, dass sich unter nicht-menschlichen Tieren jeweilige Alpha- bzw. Leitfiguren durchgesetzt hätten; unter Menschen wäre es sogar den alten Griechen schwer gefallen, Demokratie gesellschaftlich zu erhalten. Schließlich spekulierte ich allgemein auf eine soziale Unterentwicklung von Menschen.

Bin ich ein soziales Tier?

 

Diesseits von Idealen und Utopien

Wäre eine Gleichbehandlung unter Menschen ein Ideal, eine Utopie oder gar eine Schimäre? Lediglich eine angebbare Bedingung für Zivilisation. Eventuell wird es unter Menschen niemals zivilisiert zugehen. Wie aber eine Gesellschaft aussehen könnte, in der eine statistisch messbare Gleichbehandlung z.B. von unterscheidbaren Geschlechtern vollzogen würde, bleibt einer ungewissen Zukunft überlassen.

Ideale und Utopie bilden allenfalls ein kindisches Vorbild oder ein fixiertes mögliches Endstadium ab, keinen gestaltbaren Anfang, sondern einen Aufruf zur Nachäffung oder einen vielleicht als schön empfindbaren Tod.
Eine Gleichbehandlung würde jedoch einen neuen gesellschaftlichen Beginn markieren, eventuell Kräfte und Entscheidungen ermöglichen, die bislang unberücksichtigt geblieben sind, wirtschaftlich, umweltlich, künstlerisch und sozial.

Doch eine angebbare Bedingung hat nichts von einem beindruckbaren Event, von einer machtergreifenden Show, in diesem Fall löst sie historisch und gesellschaftlich nur auf, was im ersten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung durch Notierungen von Goldenen Regeln angelegt wurde. Wen interessierts?

 

Die fünf Anekdoten stammen aus einem neuen E-Book-Projekt des Autors. Die ersten zehn Anekdoten sind einzeln bei den Ruhrbaronen vorveröffentlicht worden. Sie werden vermutlich das erste Kapitel bilden. Die jetzt bei Xtranews publizierten Texte (11-15) werden wahrscheinlich das zweite Kapitel eröffnen.

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