Ungezügelte Leidenschaften, althochdeutsch: Willilust
Eines will und muss ich vorweg völlig klar stellen: ich habe nichts, aber auch gar nichts gegen reiche Leute! Ich habe nichts gegen Reichtum, eher schon gegen Armut. Ehrlich gesagt: ich wäre selbst gern reich. Dieser Wunsch ist mir vielleicht nicht ganz so wichtig wie Anderen; aber so eine Million…- okay, damit kommt man nicht weit. Also, sagen wir mal: die ein oder andere Million. Ich hätte überhaupt nichts dagegen. Manchmal träume ich sogar davon, wie schön es wäre, wenn ich einmal reich wäre. Nicht sehr oft, so etwa einmal im Jahr. Und dann denke ich mir: ach ja, das wäre ganz gut.
Nein, ich könnte Ihnen jetzt nicht sagen, was ich mir zu kaufen gedächte oder was ich anders machen würde. Ich fände es einfach nur irgendwie gut, so ein richtiger Geldsack zu sein. Einfach so. Deshalb ist auch „Reich sein, warum nicht?“ einer meiner Lieblingssprüche. Also: der ist nicht von mir; den hatte ich vor Jahrzehnten irgendwo aufgeschnappt. Ist aber auch egal; wichtig ist mir nur: ich habe nichts gegen Reiche. Neid? Na gut, hin und wieder ertappe ich mich, zumal: ich kann mir ein Leben ohne Neid einfach nicht vorstellen. Der Neid, zwar keine Todsünde, „nur“ eine schlechte Charaktereigenschaft; aber trotzdem: schlimme Sache.
Leider Gottes lässt sich Neid nicht immer völlig vermeiden – naturnotwendig, wir Menschen sind halt Sünder usw. usf. Umso erfreulicher, dass ich Ihnen guten Gewissens mitteilen kann, dass ich mit dieser Hauptsünde (nochmal: nicht Todsünde!) relativ wenig befleckt bin. Ich will damit nicht sagen, dass ich ein besserer Mensch wäre – jedenfalls nicht besser als der Durchschnitt. Neid also eher etwas weniger, dafür bin ich von einer Reihe anderer Laster umso stärker heimgesucht. Etwa von der Wollust, die jedoch auch nach der Rechtsschreibreform nicht schlimmer geworden ist. Komisch eigentlich.
Nach wie vor wird die Wollust nur mit zwei „l“ geschrieben. Nun ließe sich sagen, drei „l“ seien auch etwas zu viel des Guten. Sprechen Sie einfach mal Wollust mit drei „l“ aus und Sie verstehen, was ich meine! Doch darum geht es nicht: nach der Rechtschreibreform müssen zusammengesetzte Wörter mit drei Konsonanten geschrieben werden, auch wenn danach ein Vokal folgt. Der Punkt ist, dass es sich bei dem „Wort um eine Zusammensetzung aus Lust und einer Vorform von wohl“ handelt, wie wir z.B. auf wiktionary erfahren; es „stammt vom althochdeutschen willilust ab.“ Ich könnte mich schütteln: Willilust!
Noch schlimmer als meine Willilust ist aber… – Gott, wie nennt man das denn?! Also, wie soll ich sagen? Wenn man Menschen allein oder zumindest vornehmlich nach Äußerlichkeiten beurteilt? Nun, ich komme jetzt nicht drauf. Wie dem auch sei: ich muss zugegeben, dass ich die schlechte Eigenschaft habe, andere Menschen – gerade auch mir völlig fremde Menschen – einzig und allein nach ihrem Aussehen zu beurteilen. Vor allem nach ihrem Gesicht. Ich weiß: das ist selbstverständlich absolut indiskutabel, ungerecht und unfair gegenüber den Leuten; aber leider muss ich zugeben, das ist schon so eine Art Charakterzug von mir.
In meinem Alter legt man, da mache ich mir keine Illusionen, so etwas nicht mehr ab. Ich kokettiere nicht damit; ich führe dies nur als Gegenbeispiel an, als Beleg dafür, dass ich auch meine schwachen oder – sagen wir, wie es ist – schlechten Seiten habe. Neid ist, wie gesagt, nicht so sehr mein Problem; aber diese beschissene Art, wildfremde Menschen allein nach ihrer Nase zu beurteilen… – gar nicht schön, ich weiß. Ich muss die Leute gar nicht real sehen, nicht einmal im Fernsehen. Nein, manchmal reicht ein Foto, und mir ist klar: diese Fresse passt mir nicht. Oder eben doch. Also das Gesicht.
Zum Beispiel Cindy Crawford, Sie wissen Bescheid: die, die jetzt auf Stippvisite in Düsseldorf war. Die gefällt mir – übrigens ein weiterer Beleg dafür, dass ich nichts gegen reiche Leute habe. Frau Crawford ist nämlich superreich. Neid? – Kein Stück! Okay, ich gebe zu… – na ja, so ein bisschen neidisch bin ich auf diesen Klaus-Günter aus München. Wie bitte, den kennen Sie gar nicht?! Na, dann sehen Sie sich mal diesen kleinen Spot der Deutschen Bahn an! „Are you Klaus-Günter?“, schmachtet Cindy diesen Typen da an, und als der ein wenig verdutzt die Frage bejaht, fordert Sie ihn auf: „Kiss me, Klaus-Günter!“
Aber bitte, das geht mich ja nichts an! Das ist Cindy Crawfords Privatleben; da habe ich mich nicht einzumischen. Im Gegenteil: ich freue mich, wenn sie glücklich ist; denn, wie gesagt, ich mag sie. Allein schon, weil mir ihr Gesicht passt. Dass sie steinreich ist, ist mir ehrlich gesagt piep egal… – also: das wäre für mich überhaupt kein Hinderungsgrund. Bahn Fahren solle man, will uns das eben verlinkte Filmchen sagen. Da hat sie übrigens Recht, die Frau Crawford. Das ist sehr gut für die Umwelt. Bei mir ist es nur so, dass ich gehbehindert bin, und da komme ich manchmal nicht ums Auto herum. Leider.
Zum Beispiel dieses Jahr am 21. März, da hatte ich morgens einen Termin im Rathaus am Burgplatz. Der kam auch zustande, insofern habe ich Zeugen: ich war am 21. März 2012 im Duisburger Rathaus. Allerdings: es war eine Tortur! Nein, nicht die Besprechung, sondern dorthin zu kommen. An diesem Tag – der 21. März fiel auf einen Mittwoch, ich weiß es noch ganz genau – war nämlich die gesamte Innenstadt nicht zu passieren, außer zu Fuß. Ob Bus oder Bahn, Auto oder Taxi – manchmal spielt das alles überhaupt keine Rolle. Es gibt Dinge, die kannst Du für Geld nicht kaufen! Ich glaube, Cindy weiß das.
Andererseits brauchst Du schon ein bisschen Geld, damit Du Dir überhaupt etwas kaufen kannst. Auch das muss man der Cindy Crawford nicht erst erzählen, und den Tausenden anderen Frauen, die am 21. März in der Stadt waren auch nicht. Zentraler Aktions- und Streiktag der Gewerkschaft ver.di, die Mädels alle – okay, ein paar Jungs waren auch dabei – unheimlich gut drauf. Am Trillern, am Pfeifen, am Sprechchören, wie gesagt: eine ganz ausgezeichnete Stimmung. Ich kam mit dem Auto aus Rheinhausen über die Brücke der Solidarität nach Hochfeld und schaffte es dann noch im Schritttempo bis zum Brückenplatz.
Ich musste, wie ich bereits erwähnte, jedoch zum Burgplatz, der in etwa anderthalb Kilometern Entfernung vom Brückenplatz liegt. Das Problem: an Weiterfahren war nicht zu denken. Es war zwar erst ab Marientor gesperrt; doch bis dahin war es selbst für einen Gehbehinderten zu Fuß schneller als mit dem Wagen. Direkt damit zusammenhängend: das nächste Problem. Genau dort, also auf dem Burgplatz, fand die große zentrale Kundgebung statt. Aber was soll´s? Da nützt kein Jammern und Klagen: losgehumpelt, immer mal hingesetzt (an den Haltestellen oder auf einem Geländer)… – dann fängt die Besprechung eben mal ein Viertelstündchen später an.
Dafür hatte ich eine Menge gesehen, mit vielen Menschen gesmalltalkt oder sie einfach nur gegrüßt: die Mädels in ihrer ver.di-Kluft oder die Polizeibeamten in ihren Uniformen, mit denen ich über den ein oder anderen störrischen und fluchenden Autofahrer gescherzt hatte. Logisch: ein paar Idioten hast Du immer dabei. Und irgendwie, fand ich jedenfalls, sahen diese rumbölkenden Wichtigtuer auch durchweg schon so beschissen aus. Also deren Gesichter, mehr konnte ich ja von diesen Typen in ihren Autos nicht sehen. Klar: Hass macht hässlich. Jedenfalls sahen die alle unsympathisch aus, fand ich. Und so wichtig werden die wohl auch nicht gewesen sein.
Wobei… da auf der anderen Seite, am Innenhafen, ich nehme an, Sie haben davon gehört. Jetzt, diesen Mittwoch, fand da doch dieser Prozess statt, d.h. er hatte begonnen und ist nach 20 Minuten auf unbestimmte Zeit vertagt worden. Ist also geplatzt, wie das Handelsblatt eine dpa-Meldung betitelt hat. „Der Beschuldigte schweigt“, steht in der WAZ, und ich kann leider auch keine Angaben zum Geschehen machen, weil ich doch zum Zeitpunkt ganz woanders war. Der „Alltours-Chef spielt auf Zeit“, meint die RP: „Betont lässig, braun gebrannt und offenbar bester Laune schreitet Willi…“ – Willi, das darf doch nicht wahr sein!
Lässig und braun gebrannt, schön und gut – aber das Gesicht! Machte „von seinem Schweigerecht Gebrauch. Das galt auch für die Frage der Richterin nach seinen Einkommensverhältnissen. `Er lebt in geordneten Verhältnissen´, so Anwalt Gercke“, dessen Gesicht ebenfalls in der Zeitung zu sehen ist. „Geordnete Verhältnisse“ – 600 Millionen Euro soll der Alltours-Alleininhaber auf der hohen Kante haben. Das ist ordentlich; Cindy Crawfords Vermögen wird dagegen nur auf popelige 13 Millionen Euro geschätzt. Würde mir als Basis für eine gemeinsame Zukunft aber auch erst einmal reichen. Wie ich schon sagte: Neid ist mir fremd.
„Are you Klaus-Günter?“ Nee, tut mir leid, bin ich nicht. So ein schöner Doppelname, den hat keiner erfunden. Um Klaus-Günter heißen zu dürfen, muss man entsprechend getaufte Vorfahren haben. In so einen tollen Namen muss man förmlich reinwachsen. Meinen Alten ist nichts Besseres als Werner eingefallen. Desinteresse, nehme ich an. Immerhin gut, dass sie nicht auf Willi gekommen sind. Obwohl… – so ein Willi, der kann bestimmt ganz schön temperamentvoll sein. Willilust – Sie wissen ja Bescheid! Wenn sich so einem Willi irgendjemand in den Weg stellen sollte… Cindy und Willi, das könnte passen. Vom Namen her und vom Temperament her. Okay, vom Gesicht her eher nicht.