Eine schrecklich nette Religionsgemeinschaft
Sie bilden eine Religionsgemeinschaft. Und zwar nicht irgendeine. Also nichts mit Sekte und so. In Deutschland sind es – je nachdem – hunderttausend bis hundertfünfzigtausend Gläubige. Aber weltweit sind sie Millionen, gewiss mehr als sieben Millionen. Sie sind eine der – wenn nicht sogar die – am schnellsten wachsenden Religionsgemeinschaft der Welt.
Dass hierzulande von einem solch starken Wachstum keine Rede sein kann, mag auch daran liegen, dass Deutschland kein günstiges Umfeld für diese Glaubensgemeinschaft darstellt. Dabei garantiert das Grundgesetz die Religionsfreiheit. Artikel 4 GG, Absatz 1: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“
Keine Selbstverständlichkeit. In vielen Ländern der Welt sind sie nämlich schlimmsten Verfolgungen ausgesetzt. Und früher in Deutschland, in der Nazizeit: schärfste Verfolgung, Tausende kamen ins KZ, Hunderte wurden dort ermordet. Sie, die sie Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus konsequent abgelehnt hatten und auch noch heute ablehnen.
Diese Zeiten sind – sagen wir mal: Gott sei Dank! – vorüber. Absatz 2 dieses Artikel 4 GG besagt: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ Das ist ja klar. Wenn die Religionsfreiheit garantiert ist, dann muss man seine Religion auch ausüben können. Logisch. Wobei … – ach, sehen wir uns doch erst einmal den dritten Absatz an: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“
Bevor die Jüngeren jetzt fragen, was das denn jetzt schon wieder mit Religion zu tun haben solle, der Hinweis: das Bundesgesetz, das das Nähere geregelt hatte, hatte bis vor gar nicht so langer Zeit bestimmt, dass das in Art. 4 Abs. 3 angeführte Gewissen daraufhin zu überprüfen ist, ob es dem Kriegsdienst mit der Waffe in irgendeiner Weise entgegenstünde.
So, und das muss nun fairerweise auch einmal gesagt werden: die (männlichen) Mitglieder der hier in Rede stehenden Religionsgemeinschaft mussten einfach nur der Prüfungskommission ihren Mitgliedsausweis dieses Vereins unter die Nase reiben, und schon war der Käse gelutscht. Erfolgreich verweigert, ab zum Zivildienst. Allein: den durften die jungen Männer aus religiösen Gründen ebenfalls nicht leisten.
Und so geschah es, dass unter der Ägide des Grundgesetzes – inklusive Artikel 2, sogar mir Absatz 3 – mehr als 800 dieser jungen Glaubensbrüder monatelang in den Knast kamen. Manche von ihnen sogar mehrere Male. Die dürfen nun einmal, aus religiösen Gründen, keine Waffe in die Hand nehmen. Nirgendwo auf der Welt. Und irgendwelche staatliche Institutionen und/oder Symbole zu verehren, gilt ihnen als schlimme Sünde.
So gesehen eigentlich eine ziemlich sympathische Religion. Gegen Rassismus und Antisemitismus – völlig klar. Allen Menschen gebühren die gleichen Rechte. Das hat auch bei mir religiöse Züge; da kann man mit mir einfach nicht drüber diskutieren. Damals hier von den Nazis, heute von allen möglichen Halunken auf dieser Welt verfolgt – da ist Solidarität ja wohl Ehrensache.
Gut, das mit dem Pazifismus sehe ich anders. Ich habe gelernt: wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Und ehe ich daran erinnert werde: ja, ich habe das mal geschrieben. Dass Pazifismus unmoralisch sei. Gut, das muss man nicht so sagen; aber es ist nun einmal meine Meinung. Meine Meinung ist nicht, dass Pazifisten unmoralisch seien. Das wäre ja auch Quatsch. Pazifisten sind doch zumeist recht angenehme Zeitgenossen.
Um ehrlich zu sein: diese hier in Rede stehende Religionsgemeinschaft, also auch ihre Mitglieder, empfinde ich nicht als angenehm. Mir sind die Brüder und Schwestern sogar ausgesprochen unangenehm. Aber das tut ja nichts zur Sache. Die Religionsfreiheit gilt selbstverständlich auch für Menschen und Religionsgemeinschaften, die Herrn Dr. Jurga nicht so in den Kram passen.
Die Damen und Herren missionieren. Okay, das schreibt ihre Religion so vor. Dann hat dieser Verein immer so verheißungsvolle Bilderchen vom Himmelreich auf Erden. Bescheuert. Aber klar, können sie machen. Aber, was sie nicht machen können … – was sie nicht dürfen, aber trotzdem machen: sie lehnen – unter Bezug auf die Bibel – Bluttransfusionen kategorisch ab. Auch bei ihren Kindern.
Der liebe Gott habe es verboten, erklären die Zeugen Jehovas. Und deshalb enthalten sie ihren Kindern Bluttransfusionen vor. Auch lebensnotwendige. Auch wenn die Kinder, ihre eigenen Kinder dabei drauf gehen. Das nehmen sie in Kauf. Es ist müßig, dies irgendwie moralisch, theologisch oder sonstwie beurteilen zu wollen. Hier reicht die juristische Bewertung völlig aus. Hier sind die Grenzen der Religionsfreiheit überschritten. Hier haben wir es mit Straftatbeständen zu tun.
Die 17. Enquête-Kommission des Deutschen Bundestags „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ stellte fest, „dass sich bei den Zeugen Jehovas zumindest eine vorsichtige Relativierung [ihrer Haltung zur Blutfrage] andeutet. Zwar wird am prinzipiellen, biblisch begründeten Verbot der Bluttransfusion festgehalten. Daneben aber wird die umfassende medizinische Betreuung nicht in Frage gestellt und die Hoffnung geäußert, dass sich aufgrund des Fortschrittes in der medizinischen Technik zunehmend Eingriffsmöglichkeiten eröffnen werden, die eine Bluttransfusion nicht erfordern. Schließlich wird die prinzipielle Rechtsposition akzeptiert, dass auch gegen den Willen von Eltern Bluttransfusionen bei Kindern durchgeführt werden können.“
Endbericht der Enquête-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“. In: Dokumentations- und Informationssystem für Parlamentarische Vorgänge. 9. Juni 1998, abgerufen am 19. August 2009 (PDF, S. 93).
(aus Wikipedia)