Vandalismus an der Loveparade-Gedenkstätte: Über die Loveparade und den Staat, Teil 2
Heute in einem Monat jährt sich die Loveparade-Katastrophe zum zweiten Mal. Vorgestern erreichte uns die Meldung über „Vandalismus an der Loveparade-Gedenkstätte in Duisburg“. Auf dem Internet-Portal der WAZ-Gruppe, „der Westen“, erschien der Bericht, und es war absehbar, dass sich im Kommentarbereich eine ganze Menge tun würde. Angesichts dieser Aussicht hielt ich es entgegen meiner sonstigen Gewohnheit für angemessen, mich auf „der Westen“ zu Wort zu melden. Ich schrieb:
Keine Spekulationen, kein Aufheulen, Nichts!
von jurga | #3 – 22.06.2012, 02:59
Man ist sprachlos. Und sollte es auch bleiben. Heißt: keine Spekulationen, kein Aufheulen, Nichts! Nichts, was dem oder den Tätern auch noch Freude bereiten könnte. Erst muss aufgeklärt sein, wer es war, und vor allem: WARUM. Abwarten, Geduld haben. Auch wenn es schwer fällt. Wir sind es den Opfern und den Angehörigen schuldig.
Am Tag, genauer: in der Nacht darauf bezog sich ein anonymer Kommentator ausdrücklich auf meinen Appell. Unter dem Pseudonym „Jan und Pitt“ schrieb er:
jurga | #3
von JanundPitt | #27 – 23.06.2012, 00:34
Die Rampe ist ein relativ abgelegener Ort. Die Wahrscheinlichkeit, dass Zeugen den Vandalismus beobachtet haben, Täter beschreiben und diese gefasst werden können, ist leider äußerst gering. Das werden die Täter genauso kalkuliert haben.
Mir verschlägt es die Sprache angesichts dieses sinnlosen Vandalismus, anderer Vandalismen, eskalierender tagtäglicher Gewalts-, Raubs-, Einbruchs-, Brandstiftungs- und Betrugsdelikten in Duisburg. Nach Einbruch der Dunkelheit gehe ich in dieser Stadt nicht mehr allein vor die Tür. Aber auch bei Tag ist man in dieser Stadt vor nichts mehr sicher. Für den Gang zum Geldautomaten bekommen wir den schlauen Rat, eine Begleitperson zwecks Schutz mitzunehmen. Singles ohne Begleitschutz sind demnach wohl selbst Schuld, wenn sie überfallen werden. Unsere unterbesetzte Polizei und unsere weichgespülte Richterschaft kann – und will – uns und unsere Werte vor der eskalierenden Gewalt nicht mehr schützen. Gepfiffen auf diesen Staat, der nur kassiert und nix gibt.
Tags darauf antwortete ich ihm folgendermaßen:
Pfeifen in der sicheren Wohnung
von jurga | #27-1 – 23.06.2012, so gegen halb zehn, 9:30
Meinen Appell an die Geduld, nämlich die Ermittlung des bzw. der Täter abzuwarten, kontern Sie mit der Befürchtung, dass dieser Vorfall unaufgeklärt bleiben könne. Könnte leider so sein. Und jetzt?
Sie schildern Ihr subjektives Empfinden eskalierender Kriminalität, das in krassem Gegensatz zu jeder Kriminalstatistik steht. Sie werden Ihren Eindruck – nämlich den, dass wir in Godham City leben – für realitätsnaher halten als die offiziellen Statistiken dieses Staates, auf den Sie ohnehin zu pfeifen belieben.
Nur einmal angenommen, Sie hätten Recht (was ich freilich NICHT annehme) – was jetzt? Sie empfehlen, auf den Staat zu pfeifen, es sei denn – und das wäre Ihre politische Forderung – die Justiz urteilte härter und die Polizei bekäme deutlich mehr Beamte.
Meine Fragen: wie viele Polizisten müssten wohl zusätzlich eingestellt werden, um auch an „abgelegenen Orten“ jeden Bösewicht dingfest machen zu können? Wie scharf müsste die Richterschaft urteilen, damit auch Sie wieder nach Einbruch der Dunkelheit vor die Tür gehen? Und, last but not least: kann es sein, dass Sie gar nicht mehr im Dunkeln raus wollen, weil Sie inzwischen so viel Gefallen am (anonymen) Pfeifen auf den Staat gefunden haben?
Jetzt mal etwas ganz Anderes. Ebenfalls vorgestern hat der sozialdemokratische Politologe Franz Walter in der Frankfurter Rundschau einen Beitrag mit dem Titel „Die Akzeptanz des Staates schwindet“ veröffentlicht. Darin heißt es:
In einigen Teilen der zivilgesellschaftlich unterversorgten Staaten Europas könnte in mittlerer Perspektive vielmehr eine Art negativer Mobilisierung entstehen, wie sie Lev Gudkov am Beispiel postkommunistischer Staaten beschrieben hat. Sie wurzeln im Statusverlust und Werteverfall ganzer sozialer Gruppen. Mutlosigkeit und Orientierungsschwäche greifen um sich; die Gesellschaft scheint mehr und mehr gelähmt, da ihr alle Vorstellungen über Sinn und Zukunft ihrer abhandengekommen sind. Als Kompensat stehen einzig Zerstreuungsangebote, stehen Spektakel, Show und Sportwettbewerbe zur Verfügung. Positive Entwürfe und Glaubensüberzeugungen hingegen sind aus der Masse der atomisierten Einzelnen verschwunden. In Zeiten überlappender Krisen stellt sich ein Wir-Gefühl der Individuen nur durch Formen der „negativen Solidaritäten“ ein, als Aggression gegen das Fremde und andere mithin.
Vor knapp zwei Jahren, am 2. August 2010, also gut eine Woche nach der Loveparade-Katastrophe, brachte ich auf xtranews einen Beitrag mit dem Titel „Über die Loveparade und den Staat“. Darin schrieb ich:
Die Vorgänge, die zur Katastrophe vom 24. Juli geführt hatten, und das unverantwortliche Verhalten der Verantwortlichen sind geeignet, dieses grundlegende Vertrauen in den Staat zu erschüttern.
Auch dieser grundsätzliche Glauben an die staatliche Ordnungsmacht ist nicht unendlich belastbar, wie in der zurückliegenden Woche das Verhalten einiger Duisburger Bürger städtischen Angestellten gegenüber in erschreckender Weise belegt hat. Nach der Politikverdrossenheit droht die Staatsverdrossenheit.