Kuhls Kolumne: FREUNDSCHAFT
Meine beste Freundin hat mich wieder mal verarscht. Habe lange nachgedacht, was zu tun sei. Bin zu dem Schluß gekommen, dass ich mich – hoffentlich nur vorübergehend – abfreunden muß, bis Sie die Gegenseitigkeit, die zwingende Voraussetzung jeder Freundschaft ist, wieder leben will. „A friend in need is a friend indeed“: Wenn es ihr dreckig gehen sollte und sie mich bräuchte, würde ich dasein.
Freundschaft und Sinn sind mir das einzige, was zählt, weshalb ich so verbissen gegen Unsinn und Unmenschlichkeit kämpfe. Es ist schon etwas her, da hab ich mir Gedanken gemacht, was Freundschaft ist. Hier das Resultat:
Die angekündigte Kolumne „Der Nazi in mir“ wird aus prioritären Gründen um eine Woche verschoben. Ich bitte hierfür um Verständnis…
Freundschaft
Mehr als drei Freunde zu haben, erscheint Aristoteles unmöglich. Nun gibt es aber Menschen, die behaupten, derer fünf oder mehr zu haben.
Es gibt wenig wirklich zu Ende gedachte Literatur zum Thema. Auf Anhieb fallen mir nur Platon’s „Phaidros“ und Foucault’s „Sorge um sich selbst“ ein.
Soulbrothers – Soulsisters
Der wahre Kern des Begriffs steckt in der Seelenfreundschaft, die eine Seelenverwandschaft hinsichtlich des Erkennen-Wollens und der Reflexionsbereitschaft voraussetzt.
Diese Seelenverwandtschaft muß in jeder Freundschaft gemeinsam errungen werden, als je konkret formulierte und vereinbarte Freundschaftsbasis.
Aus der Erkenntnis, dass wir die Lösung seelischer Probleme als Glück empfinden und sie uns allein in den seltensten Fällen gelingt, folgt das Angewiesensein auf ein Gegenüber, auf eine Spiegelung.
Seel-Sorge
Die Sorge um die Seele ist – gemeinsam mit dem Ringen um Erkenntnis – der Dreh-und Angelpunkt des Sokrates. Seit das Christentum, das ja im hellenistischen Kulturkreis entstand, „Seelsorge“ für sich beanspruchte, ist der Kern dieses Denkgebäudes überlagert. Was dorten unter Seelsorge verstanden wird, ist seelischer Missbrauch. Sokrates wollte Erkennen-Können und nicht Glauben-Müssen.
Erfahrung
Ronald D. Laing sagt, Seele sei der Ort der Erfahrung, wobei Erkenntnis und Erfahrung dasselbe sein können. Glück kann eine Erkenntnis sein oder aus einer reflektierten Erfahrung wachsen. Dieser Gewinn für die Seele kann gelegentlich allein errungen werden. Eine Seele, die nicht nach Erkenntnis strebt, wäre mit Sokrates eine tote Seele – und eine, die keine Erfahrung macht, mit Laing ebenso.
Kon-Genialität
Genies sind selten. Im Gegenüber liegt die Chance zur Kongenialität. Das ist die Chance, die Freundschaft lohnend macht. Das Gespräch mit dem offenen, vertrauten Vis-a-vis, das ebenso nach Erkenntnis und Erfahrung strebt.
Man fühlt sich wichtig genommen und weiß, dass der andere einem wohl will. Aus ureigenstem Interesse – und deshalb ernsthaft. Und deshalb ehrlich.
Was nicht geht
Alles andere verbietet sich – weil dies zur Zerstörung der Selbstwahrnehmung führt, die in unserer Kultur ach so gewollt ist. Wer Freunde hat, ist stark – weil seine Seele Gewinn macht.
Vieles kann Freundschaft verhindern. Dazu gehören Statusbarrieren, alle möglichen Formen von Begehren, Vorurteile und vieles mehr. Mit Platon muss man „denselben Gott haben“, die Grundüberzeugung teilen.
Metaxy
Metaxy war für die alten Griechen das Dazwischen-Sein, das „In-beween“. Kommunikation, Gespräch, Vernunft sind solche „Dazwischens“. Der „Heilige Eros“ des sokratischen Seelenverständnisses setzt Foucaults „Dispositive“ voraus, Anknüpfungspunkte sowohl in der eigenen als auch in der gegenüberliegenden Seele. Luhmann: „Nur anschlußfähige Systeme können kommunizieren.“
Ratio, Vernunft, ist in der Mitte. Dieses „In der Schwebe halten“, diese Schwingung, das ist Freundschaft, geteiltes Dazwischen. Das kann sehr lange anhalten – sofern es beide wollen, denn Freundschaften sind stabiler als Beziehungen, die bloß aufs Begehren zurückgehen.
Drei Tugenden
Solange man ist, wie man geworden ist, muss man auch Akzeptanz spüren. Und Respekt ist Rücksichtnahme auf den, der ist, wie er ist. Und, man muß etwas bewundern können.
Akzeptanz, Respekt, Bewunderung.
Wirklichkeit
Inzwischen erlebe ich solche Freundschaften.
Aristoteles spinnt: Nur drei? Da geht mehr…
Life is making friends…
Und wer keine Freunde hat oder keine Freundschaften leben kann, ist ein Untoter…