Kuhls Kolumne ERSTE BARRIKADE IN DUISBURG
Letzte Woche wollte ich das Hundertmeister besetzen. Hat zwar nicht geklappt – ist aber dennoch ein Erfolg. Da haben Szenen zueinander gefunden, die vorher nichtmal voneinander wussten. Inzwischen zeichnen sich die Konturen eines kulturrevolutionären Bündnisses in Duisburg ab. Das macht Hoffnung…
Als ich meinen Talk im Hundertmeister für März plante, hatte ich die Besetzung in Betrachtung gezogen. Es waren Zeitfenster absehbar, wo das hätte gelingen können. Vorsorglich hatte ich einige Leute informiert, um im Ernstfall schnell zu sein.
Revolution – Kabarett – Anarchie
Zwischenzeitlich dachte ich öfter mal an die Münchener Revolution Ende des ersten Weltkriegs. Damals hatten Heinrich Mann, Rainer Maria Rilke, der Dirigent Bruno Walter, Oskar Maria Graf, der Philosoph Gustav Landauer, der Kabarettautor und Anarchist Erich Mühsam, Ernst Toller und Ret Marut, der später als B.Traven Weltruhm erlangen sollte, zusammen mit anderen Künstlern und Studierenden den Hauptbahnhof, Regierungsgebäude und Kasernen besetzt. Sie riefen die Räterepublik „Freistaat Bayern“ aus. So nennt sich das Bundesland, das inzwischen unter die Räder der CSU gekommen ist, heute noch.
Grauenhafter Grüner Greulich
Als Jutta Dittfurth 1991 den Grünen prophezeite, dass sie in Bälde „soweit heruntergekommen“ seien „sogar mit der CDU zu koalieren“, da war die Empörung in der Partei noch groß. Dass die Duisburger Grünen sich nicht entblöden würden, sogar mit dem Gemütsfaschisten Sauerland ins Bett zu steigen – das hätte niemand je in seinen übelsten Alpträumen befürchtet. Ein Ergebnis dieser Arschkarte war dann Stadtdirektor Greulich.
Im Januar stellte dieser fest, die Stadt habe in Sachen Loveparade keine Fehler gemacht. Und gab sich hinsichtlich zu befürchtender Bürgerproteste gelassen. Eine „kleine nicht repräsentative Minderheit“ sei nicht in der Lage, Veränderungen herbeizuführen. Man sähe ja in Stuttgart, Protest käme nur aus den Resten eines ehemaligen Bildungsbürgertums.
Die Stadtverwaltungspitze vertraue also darauf, dass Protest in Duisburg niemals erfolgreich sein werde, da ungelöste gesellschaftliche Probleme z.B. in den Bereichen Bildung und Arbeit dafür gesorgt hätten, dass sich der Grossteil der Bevölkerung inzwischen so weit unten fühle, dass man „die da oben“ machen lasse, was sie wollen.
Startlöcher buddeln
Als vor gut einer Woche das Zeitfenster plötzlich aufsprang, kontaktierte ich die DU-it-yourself-Leute, die ihrem Verlangen nach einem autonomen Kulturzentrum mit ihrer Nacht-Tanz-Demo lautstark Ausdruck verliehen hatten und von der Anzahl her potent zu sein schienen, über einen gemeinsamen Bekannten. Beim Treff letzen Sonntag waren die ganz angetan von der Idee und ich sprach Hinz und Kunz aus der Freien Szene an.
Der Handlungsspielraum reichte nur bis Mittwoch und ich formulierte – ausgehend von einigen schlaflosen Nächten sowie einer erfolgreichen Besetzung – vorsorglich ein Kommuniqué für die Pressekonferenz im befreiten Kulturzentrum. Montag erreichte mich eine Mail von Diy, man müsse – da man sich nicht einig sei – das heute noch mal in einem Plenum besprechen. In Befürchtung eines zeit- und energieraubenden Diskussionsmarathons, vor dem mich Insider schon gewarnt hatten, hab ich den jungen Leuten eine Wut-Mail geschickt, die diese als „Morddrohung“ verstanden haben wollen, was wiederum zum Rückzug der stärksten Gruppe führte.
Szene komatös bis euphorisch
In der freien Szene gab es einerseits einen Unterhäuptling, der von Resignation und Arrangements mit den Sauerländern sprach, ein Club-Mitbesitzer freute sich schon auf das Traumzeit-Festival, ein Booker hatte Rückenprobleme, die eine Übernachtung im Schlafsack verunmöglichen und ein Trompeter hatte gerade seine Freundin zu Besuch. Hat Greulich recht?
Glücklicherweise gab es noch den engagierten Schauspieler, die begeisterte Jazzsängerin, den grinsenden alten Sack mit der Bluesharp, den DJ, den Erfinder des Duisburger Folksongs – eine bunte Truppe unbeugsamer Kulturschaffender.
Kulturraubstadt 2011
Als Freitagabend die ersten Traumzeitler traumzutanzen begannen, versammelten sich auf dem Dellplatz um die 80 Leute zu einem Flashmob, hängten Transparente ans Hundertmeister und gingen als Spontandemo in die City. („duityourself“ googeln – Fotos, Info, WDR-Beitrag)
Während im Landschaftspark in drei Tagen ein Jahresetat verballert wurde, kamen hier Leute miteinander ins Gespräch, die die Kultur der 362 restlichen Tage demnächst gemeinsam gestalten wollen. Das geht seitdem weiter.
Die SPD hat das Eschhaus abgerissen und die CDU das Hundertmeister dichtgemacht.
Während sich die Privatisierer der Kulturzentrale – die kommunale Wohnungsbaugesellschaft GEBAG – mit Händen und Füssen gegen die durch ein Renommier-Protz-“Kultur“-Projekt im Innenhafen drohende Pleite sträubt, reden die „Spinner“ der Freiraumbewegung mit dem „Betonkopf“ Reifenberg, der bis Donnerstag Geschäftsführer des insolventen 100meister war.
Politik und Talk
Laut Platon ist es die Aufgabe des Politikos, die richtigen Leute zusammen an einen Tisch zu bringen. Ist mir gelungen. Nächste Woche Dienstag, am 12.7, sehn wir uns im Djäzz zum Talk:
KULTUR IM KOLLAPS
Wahn und Sinn in Duisburg
mit vielen Vertretern der freien Szenen der zu befreienden Stadt an Rhein und Ruhr
Unbedingt vorbeikommen!
Revolution und Kandidatur
Die erste Barrikade war uns eine Lehre. Jetzt schmieden wir Bündnisse und organisieren Zusammenarbeit.
Ich kandidiere zum Oberbürgermeister. Revolution á la Robin Hood: Den Geplünderten ihre Stadt zurückgeben bevor auch noch der Rest veruntreut ist.
Revoluzzer und Fensterputzer
Jetzt gilt es, den Arsch hochzukriegen und den Grauensgrünen Lügen zu strafen. Damals in München hat der Kabarettist Erich Mühsam die Gespaltenheit der SPD zwischen Spiessertum und Barrikadenbau so formuliert, dass es nicht nur die Spaltung zwischen den Hartz4-Verbrechern, die noch Mitglied sind, und der Viertelmillion ausgetretener echter Sozialdemokraten – sondern auch die Situation der Opposition in Duisburg beschreibt:
REVOLUZZER
War einmal ein Revoluzzer
im Zivilstand Lampenputzer
ging im Revoluzzerschritt
mit den Revoluzzern mit.
Und er schrie: "Ich revolüzze!"
Und die Revoluzzermütze
schob er auf das linke Ohr
kam sich höchst gefährlich vor.
Doch die Revoluzzer schritten
mitten in der Straßen Mitten
wo er sonsten unverdrutzt
alle Gaslaternen putzt.
Sie vom Boden zu entfernen
rupfte man die Gaslaternen
aus dem Straßenpflaster aus
zwecks des Barrikadenbaus.
Aber unser Revoluzzer
schrie. "Ich bin der Lampenputzer
dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!
Wen wir ihm‘ das Licht ausdrehen
kann kein Bürger nichts mehr sehen.
Laßt die Lampen stehen, ich bitt!
Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!"
Doch die Revoluzzer lachten,
und die Gaslaternen krachten,
und der Lampenputzer schlich
fort und weinte bitterlich.
Dann ist er zu Haus geblieben
und hat dort ein Buch geschrieben:
nämlich, wie man revoluzzt
und dabei doch Lampen putzt.
Wenn die Lampenputzer überwiegen, dann ist Duisburg verloren. Das können wir uns nicht leisten. Also:
Barrikade ist Trumpf!
Holen wir uns die Stadt zurück!
Viva la Revolution!
Viva Duisburg!
Venceremos!
Commandante Kuhl