Loveparade: Die Tragödie von Duisburg – Interview mit dem Autor Tobias Hajek
Tobias Hajek *, 42, Krankenpfleger und Rettungsassistent mit großer fachlicher Erfahrung, ist sicher durch seine vielen Einsätze auf Notarzt- und Rettungswagen einiges an dramatischen Eindrücken gewohnt. Eigentlich ein Mann, der stets weis, routiniert und abgeklärt in den jeweiligen Notfallsituationen zu handeln. Das es aber auch für ihn mal ganz anders kommen konnte, zeigte ihm sein kräftezehrender Einsatz bei der Loveparade 2010. Nach seinem Einsatz vor Ort wurde der Retter auch zu einem Opfer dieser Duisburger Tragödie.
Am 24.7.2010 erhielt Tobias Hajek über die Leitstelle die Mitteilung, dass es auf der Loveparade einen Einsatz gebe. Zunächst wurde gemeldet, es handele sich um eine Reanimation, kurz danach waren es bereits zwei. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Als Hajek mit seinem Notarztfahrzeug am Unglücksort ankam, bot sich ihm ein Bild des Grauens. „Es sah aus wie ein Anschlagsort.“, so Hajek im Gespräch mit xtranews. Wie er mit seinem Fahrzeug durch den Tunnel bis vor die Rampe kam, kann er heute noch nicht sagen. Der Rettungsassistent und der begleitende Notarzt erfassten beide sofort die Dramatik dieses Einsatzes und teilten sich, was ungewöhnlich war, sofort auf um erste Hilfe zu leisten und Notfallmaßnahmen einzuleiten. Für Tobias Hajek besonders erschwerend: seine damals 18-jährige Tochter Tatjana war selbst eine der Besucherinnen der Loveparade. Nach einer ihm endlos vorkommenden Zeitspanne konnte er seine Tochter via SMS erreichen um erleichtert zu erfahren, dass es ihr gut gehe.
„Von da an konnte ich funktionieren.“, beschrieb Tobias Hajek seine Gefühlslage. Hajek beschrieb in unserem Gespräch die Eindrücke, die sich ihm boten. „Bei einigen jungen Menschen konnte ich sofort erkennen, das jede Hilfe zu spät kam. Sie waren bereits tot.“, fasst er die damalige Situation zusammen. Viele Verletzte waren notfallmäßig zu versorgen um sie transportfähig für den Weg ins nächste Krankenhaus zu machen. Besonders in Erinnerung sind für Hajek die unter Schock stehenden und fassungslos wirkenden jungen Polizisten vor Ort. Die meisten von ihnen waren sicher niemals auf einen solchen Einsatz vorbereitet gewesen.
Die schrecklichen Anblicke, die sich dem Rettungsassistenten an diesem Tage boten, beschrieb er in unserem ausführlichen Gespräch. Nach fast 2 Stunden Rettungsarbeit vor Ort stand für Tobias Hajek fest, dass er diesen Ort verlassen muss. Sein weiterer Einsatz führte ihn dann vor den Duisburger Hauptbahnhof, wo ebenfalls Fassungslosigkeit und Entsetzen vorherrschte.
Einsätze der Rettungskräfte sind fast immer von einer gewissen Dramatik. Aber die Schulungen und die Routine der Einsatzfachkräfte verhelfen ihnen in der Regel dazu, das Erlebte gut zu verarbeiten. Tobias Hajek hat viele solcher Situationen erlebt. So erzählte er von einem Einsatz mit einem offenbar suizidalen Mann, der die zu Hilfe gerufenen Rettungskräfte zunächst mit einer Waffe bedrohte um sich dann anschliessend vor deren Augen in den Kopf zu schiessen. Der Mann verstarb augenblicklich.
Der Einsatz auf der Loveparade aber war für Hajek eine Zäsur in seinem Berufsleben. Tobias Hajek konnte diesen Einsatz nicht wie sonst verarbeiten. Er erkrankte an seinen Eindrücken und meldete sich drei Wochen dienstunfähig. Nach dieser Zeit, in der er auch fachlich-medizinische Hilfe in Anspruch nahm, schrieb Tobias Hajek das Erlebte in einem Buch auf.
„Loveparade – Die Tragödie von Duisburg“ ist der Titel seines Buches, in dem er seinen Einsatz und seine ganz persönliche Erfahrung mit diesem Tag beschreibt. Er schrieb das Buch auch wegen seiner selbst erlittenen Traumatisierung. „Ich habe meine Eindrücke schnell runter geschrieben.“, so der Autor. In seinem Buch bleibt er neutral, er verurteilt niemanden, weist keine Schuld zu und betreibt keinerlei Abrechnung. Das Buch sollte wertneutral sein, was ihm auch gelungen ist. Ein Buch, welches den 24.7.2010 in Duisburg aus der Sicht eines medizinischen Helfers vor Ort beschreibt.
Tobias Hajek ist selbst erstaunt, wie gut das Buch mittlerweile bei den LeserInnen angekommen ist. Von den Tantiemen stiftet er einen Teil an Organisationen, die sich um Traumatisierte kümmern.
Hajek hat Pflegemanagement studiert, was ihn beispielsweise dazu befähigt, Leitungsfunktionen in Krankenhäusern und Kliniken zu besetzen. Er selber sieht sich aber nicht in der Rolle eines Vorgesetzten und ist weiterhin als Rettungsassistent tätig. Seine persönliche Aufarbeitung seines Einsatzes auf der Loveparade war dazu sicher notwendig.
Rettungsassistenten sind hochprofessionell ausgebildet. Bei Hajek kommt noch hinzu, dass er zuvor den Beruf des Krankenpflegers erlernte.Das praktische und fachliche Rüstzeug ist Basis dafür, bei seinen Einsätzen routiniert und adäquat zu handeln. Die öffentliche Anerkennung für diesen Berufe ist dementsprechend hoch angesiedelt. Allerdings hinken dieser Anerkennung immer noch die Tarifverträge, gerade im Gesundheitswesen, hinterher. Die psychischen und physischen Belastungen für Rettungsfachkräfte sind teilweise immens. Immer mehr gehen die Träger dazu über, ihre Beschäftigten im Gesundheitswesen einer regelmäßigen Supervision zuzuführen, um beruflich Erlebtes aufzuarbeiten. Dies ist sicher notwendig und sinnvoll. Es darf aber dabei nicht ausser Acht gelassen werden, dass es immer noch eine größere Anzahl von Krankenschwestern, Krankenpflegern und Rettungsfachkräften gibt, die an den Belastungen ihres Berufes zerbrechen.
Gerade Einsätze auf RTW’s (Rettungswagen und auch Notarztwagen) oder auch auf interdisziplinären Intensivstationen verlangen den Fachkräften viel ab. Der Druck, der mittlerweile auf den Schultern der Schwestern und Pflegern liegt ist immens. Dies auch zunehmend auf den allgemeinen Stationen der Krankenhäuser und Kliniken. Den Bedarf, hier seitens der Gesetzgeber und Tarifpartner schnell zu handeln, sieht auch Tobias Hajek im Gespräch mit xtranews.
Tobias Hajek liebt seinen Beruf, dass macht unser Gespräch deutlich. Bei aller notwendigen Kritik an Zuständen im Gesundheitswesen, sieht er für sich aber keine andere berufliche Alternative. Hajek sieht sich den verstorbenen und verletzten Opfern der Loveparade verbunden, ist aber auch hier neutral und gehört keinem der Duisburger Opferverbände an. Er bedauert, dass es zwischen einigen Verbänden/Vereinen unnötige Streitereien gibt wer nun wen am besten vertritt. Aufgrund seiner persönlichen Geschichte plädiert er dafür, die Umstände, die zu dieser Tragödie führten, aufzuklären und den Opfern und Hinterbliebenen jede mögliche Hilfe zukommen zu lassen.
Tobias Hajek ist sicher hierfür eine besonders glaubwürdige Person.
«Loveparade – Die Tragödie von Duisburg», heißt das Buch, das Tobias Hajek zur Verarbeitung seines Traumas geschrieben hat (44 Seiten, Verlag Books on Demand, ISBN 9783839198810, 5. Auflage seit Jan.2011). Untertitel: «Eindrücke und Gedanken eines Rettungsdienstlers am Ort der Katastrophe.» Ein Großteil des Verkaufserlöses wird an Organisationen gespendet, die Menschen mit den unterschiedlichsten Traumatisierungen betreuen. Erhältlich in allen Online Buchshops und mittlerweile auch als E-Book
* Tobias Hajek ist sein Pseudonym.