Börsenprofis in den Ruhr-Rathäusern
Kennen Sie das Modell eines „doppelt geleveragten Schweizer Franken Carry-Swap mit anschließender Cap-Vereinbarung auf 3-Monats-Euribor-Basis“? Nicht?
Kein Problem. Dieses Modell muss Sie auch nicht interessieren. Was Ihre privaten Finanzen betrifft, sollten Sie vielleicht doch lieber die Finger davon lassen. Und politisch muss Sie dieser Swap vermutlich auch nicht interessieren. Kommunale Fehlspekulationen dieser Art haben sich nämlich, wie die FAZ unter der Überschrift „Ein Griff in die Kläranlage“ heute berichtet, in Bayern ereignet – und nicht etwa in NRW. In der Oberpfalz und nicht etwa im Ruhrgebiet. „Ein kommunaler Zweckverband aus der Oberpfalz hat sich mit hochbrisanten Geschäften auf den internationalen Märkten verspekuliert“, berichtet die FAZ.
Oberpfalz. Tja. Es ist nicht bekannt, dass sich im Ruhrgebiet eine Kommune auf diese Art und Weise verzockt hätte. Ganz normal mit Schweizer Franken verspekuliert – okay: das schon. Das ist bereits seit längerem bekannt. Aber nicht mit „hochbrisanten Geschäften“. Davon ist jedenfalls bislang nichts bekannt.
Lars Martin Klieve kennt sie natürlich alle. Die Carry-Swaps, die anderen Swaps und überhaupt alle möglichen Finanzderivate. Klieve ist Stadtkämmerer in Essen, was ein wenig verstaubt klingt. Sagen wir also eher: Schuldenmanager. Das klingt dynamischer und passt insofern auch weit besser zu dem 40-jährigen CDU-Mann. „Die Finanzwelt da draußen“, spottet die Financial Times Deutschland (FTD), „kann einem wie Klieve nichts vormachen. Denkt man.“
Der dynamische Klieve hatte sich nämlich mit einem FTD-Redakteur unterhalten. „Financial Times“ – da wusste Klieve, was Sache ist. „Kein Euro-Wechselkurs ist stabiler als der zum Schweizer Franken“, legte er dem staunenden Laien dar. Da war der bestimmt beleidigt, dieser FTD-Redakteur, und hat deshalb so gespottet. Aus Rache sozusagen. Oder, weil das mit der Stabilität immer so eine Sache ist.
16 Millionen Euro Verlust machte die Stadt Essen bereits im ersten Halbjahr wegen der Euro-Kursverluste zum Schweizer Franken. Am 30. Juni mussten jedoch noch etwa 1,40 SFR für einen Euro hingeblättert werden, heute nicht einmal mehr 1,30 SFR. In diesem Jahr hat der Euro gegenüber dem SFR um 13,5 % an Wert verloren. Bisher.
Da heißt es: cool bleiben. Nicht die Nerven verlieren. Lars Martin Klieve, Essens Schuldenmanager, ist Profi. „Verluste, die nicht realisiert werden, sind auch keine Verluste“, sagt er. Wow! Das ist echt cool. Zumal: was soll der Arme auch sonst sagen?
Aussteigen wird er jedenfalls nicht. Das wäre auch eine nicht sonderlich angenehme Angelegenheit. Eine Umwandlung in ein Euro-Darlehen sei für die Franken-Kreditnehmer nämlich sehr teuer, erzählt man sich in Österreich – bekanntlich ein Alpenland mit dem Euro als gesetzlichem Zahlungsmittel.
Doch das erzählt Klieve nicht. Er weist vielmehr diesen FTD-Schreiberling darauf hin, dass sich der Euro schließlich sicher bald wieder erholen werde. In Schweizer Finanzkreisen heißt es dagegen, die Franken-Bewegung sei noch nicht zu Ende. Die Schweizer Nationalbank könne wenig tun, wird dargelegt. Und man muss kein Währungsexperte sein, um den Euro nach wie vor für etwas anfällig zu halten. Aber was soll er jetzt daran machen, der Stadtkämmerer?
Und was kann der denn schon dafür. Essen hatte schon vor acht Jahren begonnen, Kredite in SFR aufzunehmen. Der Zins lag ja auch immer ein paar Stellen hinterm Komma niedriger. Und deshalb war es in den Revierstädten gang und gäbe, sich im Rahmen eines aktiven Kreditmanagements auch in SFR zu verschulden.
Zum Beispiel auch in Bochum. Bochum hat im Januar 103,3 Mio. SFR aufgenommen, im Februar noch einmal 117,5 Mio. SFR. Umgerechnet in Euro machten das bei Kreditaufnahme exakt 150 Mio. €; heute sind es (schon) fast 170 Mio. €. Bis jetzt also 20 Mio. € Verlust. Nur bis jetzt. Auch Bochum will nicht aussteigen.
Darf ich fragen, in welcher Stadt Sie wohnen? Wissen Sie, wie viel Verluste dort schon wegen der SFR-Kredite aufgelaufen sind. Nur als Buchwerte, versteht sich. Sie wissen ja: Verluste, die nicht realisiert werden, sind auch keine Verluste. Das hat doch der Lars Martin Klieve erklärt! Ob der auch wirklich nichts mit dem „doppelt geleveragten Schweizer Franken Carry-Swap mit anschließender Cap-Vereinbarung auf 3-Monats-Euribor-Basis“ angestellt hat?
Bestimmt nicht. So beknackt können echt nur die in der Oberpfalz sein.