SPIEGEL Online präsentiert eine „Love-Parade-Chronologie“
Heute hat SPIEGEL Online eine „Love-Parade-Chronologie“ veröffentlicht, die protokollarisch festhält, „wie Duisburg eine Katastrophe genehmigte“.
Wir empfehlen allen an den Ursachen des Loveparade-Desasters Interessierten die gründliche Lektüre des auf SPIEGEL Online erschienenen vollständigen Textes. Für Schnellleser, die sich zunächst einmal kurz einen Überblick verschaffen wollen, hat xtranews die folgende, stark gekürzte Zusammenfassung erstellt, die ausschließlich aus Textbestandteilen der SPIEGEL-Online-Chronologie besteht.
Duisburg – Die Aufzeichnungen aus seinem Haus belegen, dass Sauerland offenbar früh über den geradezu chaotischen Verlauf der Love-Parade-Planung informiert war.
So forderte am 14. Juni – also einen guten Monat vor der Party – die Untere Bauaufsicht der Stadt von Lopavent, endlich wichtige Unterlagen einzureichen …
Der Beamte drohte den Love-Parade-Machern: "Sollten die fehlenden Unterlagen" nicht bis zum 29. Juni "eingegangen sein, werde ich den Antrag gebührenpflichtig (…) zurückweisen." Der Brief ging in Kopie an die zuständigen Verwaltungsabteilungen und auch ganz nach oben, an das "Büro OB z. Kts.", also an Oberbürgermeister Sauerland …
Am 18. Juni … schaltete sich Rechtsdezernent Wolfgang Rabe ein. In dem Protokoll der Besprechung, das laut Verteiler ebenfalls dem Oberbürgermeister (OB) vorgelegt wurde, hieß es:
"Herr Rabe stellte in diesem Zusammenhang fest, dass der OB die Veranstaltung wünsche und dass daher hierfür eine Lösung gefunden werden müsse. Die Anforderung der Bauordnung, dass der Veranstalter ein taugliches Konzept vorlegen müsse, ließ er nicht gelten …
Eine Woche später, am 25. Juni, trafen sich Vertreter von Lopavent mit der Stadt, der Feuerwehr und einer Brandschutzfirma zu einer Krisensitzung im Duisburger Hoist-Haus. Hier präsentierte Lopavent einen neuen Plan mit "doppelgenutzten Ausgängen".
Sowohl die Bauaufsicht als auch die Brandschutzexperten warnten, "dass dieser Lösungsansatz" nicht den Vorschriften entspreche. Eine "Abweichung vom geltenden Recht" sei nicht zu rechtfertigen …
Da kam einem der Brandschutzspezialisten die zündende Idee: Eine "Entfluchtungsanalyse" könnte die Love Parade retten, das hatte schon früher geklappt.
Der Mann fragte im Bauministerium nach. Ein Beamter bestätigte ihm, dass eine solche Untersuchung tatsächlich "die Möglichkeit biete, Verdichtungen von mehr als zwei Personen je Quadratmeter darzustellen" …
Am 20. Juli, vier Tage vor der Love Parade, legte die beauftragte Firma das gewünschte Gutachten vor. Entfluchtung, Verdichtung – alles im Griff …
Aktenvermerk der Stadt: "Herr Prof. Dr. Schreckenberg", heißt es darin, "stellte fest, dass er das Gesamtkonzept für gut halten würde." Besonders habe er die "ausreichende Beschilderung der Laufwege durch Fahnen und Banner" gelobt …
Am 29. Juni lief für Lopavent die Frist aus, in der sie fehlende Dokumente noch hätte einreichen können. In letzter Sekunde stellten Anwälte einen Antrag auf Verlängerung. Man bemühe sich, die "geforderten weiteren Unterlagen zu erstellen" …
Nur einen Tag später, am 30. Juni, wurde den Lopavent-Advokaten "Ihrem Wunsch entsprechend" eine Fristverlängerung bis zum 7. Juli gewährt. Am 8. Juli wiederum übersandte der Lopavent-Produktionsleiter dem Ordnungsamt eine "Besucherprognose" und verlangte: "Bitte behandeln Sie diese Unterlagen streng vertraulich!" …
Das bedeutete wohl: Wir werden zwar allen sagen, es seien mehr als eine Million Besucher gewesen, aber wir wissen schon vorher, dass das Quatsch sein wird.
"In der zur Verfügung stehenden Zeit", schrieb der Lopavent-Mann noch, "können schlicht nicht so viele Personen nach Duisburg kommen, dass es hier zu absolut gefährlichen Zuständen kommt" …
Die notwendigen Unterlagen hatte das Bauamt noch nicht bekommen. Am 14. Juli, eine Woche nach Ablauf der verlängerten Frist, fehlten weiterhin wichtige Dokumente. Wieder drängte ein Beamter: Der Lageplan sei nicht auf dem aktuellen Stand, auch das Brandschutzkonzept liege nicht vor.
Der Verteiler des Briefs lässt darauf schließen, dass auch dieses Schreiben – nur zehn Tage vor der Love Parade erstellt – dem Büro Sauerland "zur Kenntnis" übermittelt wurde …
Auch wenn sie mit Entscheidendem im Verzug waren, erhöhten die Lopavent-Anwälte den Druck. Eine Berliner Kanzlei ("Rechtsberatung nach Maß") schrieb dem Oberbürgermeister am 19. Juli: Die Genehmigungen sollten nun mit "sofortiger Vollziehung" angeordnet werden …
Abgegeben wurde das Konvolut bereits nach zehn Tagen, am 22. Juli, gerade mal zwei Tage vor der Love Parade und – was noch erstaunlicher ist – einen Tag nach der Genehmigung der Veranstaltung …
Mit einem längeren Weg der Paradewagen wäre die verhängnisvolle Pulkbildung an der Rampe wohl vermieden worden. Noch im vorläufigen Ablaufkonzept vom 15. Januar ("Vertraulich!") war eine "gedachte 8" als Truckstrecke erwogen worden, um die Rampe herum …
Die Sicherung der längeren Strecke war dem Veranstalter wohl zu teuer, wie Insider dem SPIEGEL sagten.
Text zusammengestellt aus SPIEGEL Online: „Wie Duisburg eine Katastrophe genehmigte“, 09.08.2010
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,710855-3,00.html