Von Vernunft auf hoher See zu sprechen ist nicht möglich | Thomas Bernhards „Immanuel Kant“ in Duisburg
Dieses Stück muss von seinem Ende her gedacht werden. Dann wird so Einiges klar, was in den knapp zweieinviertel Stunden im Ungewissen blieb, das Rätseln über die Figuren und ihr Verhalten wird am Ende erst so richtig klar. Die bitterböse Schlusspointe erst entlarvt das, was sich als Vernunft tarnt als Illusionsspiel. Das Gastspiel des Burgtheaters in Duisburg darf zu Recht als ein Highlight der bisherigen Akzente gewertet werden.
Thomas Bernhards „Immanuel Kant“ schickt den Professor, der aus Königsberg nie herausgekommen zu sein scheint, zusammen mit seiner Frau, seinem Bruder und seinem Papagei auf eine Amerika-Reise. Kant, der durch ein Glaukom allmählich sein Augenlicht verliert, soll die Ehrendoktorwürde der Universität von Columbia annehmen. Gleichzeitig hofft er auf die Behandlung seines Glaubkoms durch die dort ansässigen Augenärzte.
Michael Maertens als Kant ist niemand, dem man seine Sympathie schenken möchte. Im Gegenteil: Schon mit dem ersten Auftritt kann man ihn nicht mögen. Ein nerviges, moralisierendes, zurechtweisendes Kleinkind – ein Tyrann, der seine Umgebung malträtiert, gleichzeitig aber eitel und selbstverliebt – ein narzisstischer Egomane ersten Ranges. Maertens kehrt diese Eitelkeit, dieses Zurschaustellen des Charakters deutlich heraus. Er kommandiert seinen Bruder herum, nimmt keine Rücksicht auf seine Frau und wenn er eine Vorlesung an Ort und Stelle abhalten möchte, dann muss dies auch sofort geschehen. Das Stehpult ist immer griffbereit.
Um diesen Professor herum entwickelt sich nach und nach eine Art Totentanz der Haute Volee. Sunnyi Melles als Millionärin – Blondchen im leichten Dress, das nichts als Männer im Kopf zu haben scheint und sich dann doch einmal im Stück schmerzlich bewußt ist, dass sie eigentlich nichts weiter als Unsinn redet. Kants Frau, Karin Pfammatter, als hysterische mit einigen Ticks versehene Persönlichkeit. Der Rest der Gesellschaft, der Kapitän, der Admiral, der Kardinal und der Kunstsammler scheinen nicht weniger hysterisch und angespannt zu sein. Der Grund offenbart sich erst in der Schlusspointe.
Alle reden miteinander. Nein, sie reden nicht miteinander, sie reden aneinander vorbei. Floskeln und Phrasen, Bonmots und Sentenzen wechseln sich bei diesem Tanz auf dem Abgrund ab – immer schwebt das Damoklesschwert des Untergangs über ihnen, immer ist die Angst vorm Scheitern gegenwärtig und wenn Kant betont wie sehr er Amerika immer gehasst habe so hat er am Ende des Stückes dazu auch guten Grund. Richtige Kommunikation findet in diesem Stück nicht statt und im ersten Teil ist auch nicht so ganz klar worauf Bernhard hinausmöchte. Sicherlich kann man sich glänzend über die Wortspiele und das Agieren amüsieren, was das Publikum im ausverkauften Theater auch tat – doch erst am Ende sieht man klarer.
Am Ende wird die Sentenz, dass man von Vernunft auf See nicht reden könne die Schlüsselstelle des ganzen Stücks. Kant selbst entpuppt sich, kaum dass er den Boden Amerikas betritt, als Wahnsinniger, der prompt von einer Abordnung Pflegern abgeholt wird. Alles das, was vorher auf dem Schiff passierte entpuppt sich im Nachhinein als Theater – kein Wunder, dass Kants Frau und der Stewart ständig tuscheln, dass der Stewart selbst schon zu Beginn des Stücks eine freundlich-nachlässige Miene aufgelegt hat. So, wie man mit Verrückten gemeinhin umgeht. Vom Ende her betrachtet ist alles das, was auf dem Schiff passiert eine Farce. Bis auf die Millionärin, die vermutlich wirklich glaubt Kant persönlich sei an Bord ebenso wie sie fragt ob der Kunstsammler Goya gekannt habe, sind alle Personen Schauspieler. Thomas Bernhards bitterböse Ironie liegt darin, dass ausgerechnet Kant, der Kant der Vernunft und der Aufklärung, am Ende als Irrer entlarvt wird. Dies hat schon etwas von Dürrenmatts Physikern und vom Film Memento – denn erst von diesem Ende her betrachtet gewinnt das Stück seinen Sinn. Einen witzigen, bissigen, ironischen.