Von der Einsamkeit des Bloggens oder erst denken, dann bloggen!
Schon der Vorspann vermittelt Stil – da wird mit der Süddeutschen gewunken, da vertieft man sich sinnenreich und angeregt in die einzelnen Artikel und überhaupt fehlen nur noch der goldene Füllfederhalter und das Moleskine um Wolf Schneider als Mann von Welt zu adeln. Als einen, der weiß wo es langgeht. Stilistisch. Schließlich muss er das wissen, ist der doch der Verfassen von Stilratgebern und spricht für die Süddeutsche in die Kamera. Und: Er selbst bezeichnet sich als Blogger. Die Süddeutsche selbst nennt das Ganze eher „Videokolumne“. Vielleicht ist es auch ein Podcast, wer weiß, da ist ja alles so schwammig mittlerweile.
Von so einem Menschen muss man ja tiefreichende Weisheiten erwarten wenn es um das Thema Bloggen an sich geht. Zumindest könnte man ein gut gemachtes Blog über Stilfragen auf der Seite finden. Hmm – nein. Stattdessen sinds bisher 9 dieser Videokolumnen, in denen Herr Schneider sich an gewisse Zielgruppen wendet. Persönlich halte ich es für reichlich gewagt nach solch kurzer Zeit schon irgendwelche Ratschläge an Blogger zu geben – aber gut. Jetzt also Blogger.
Zu Beginn erstmal schmeicheln, macht sich immer gut
Wie beginnt man also eine Videokolumne, die guten Rat an Blogger verteilt? Natürlich mit der Feststellung dass Bloggen an sich ja irgendwie doch nicht soo – ähem – doof ist wie man dachte, nein, nein, bloggen ist ganz wichtig, aber da gibts halt diese Unterteilung und die muss man ja als Experte an Experten an den Mann bringen. Zuerst mal: Es gibt wichtige Blogs. Jawoll. Alle die in China Blogs schreiben, die sind wirklich wichtige Blogger. Also die, die gegen das System für die Freiheit sind und so. Ja, total wichtig. Genau. Alle. Beispiele für prominente chinesische Blogs? Fehlanzeige. Aber wichtig sind die irgendwie alle. Und überhaupt auch in Amerika gibts gute Blogs. Huffington. Off the Bus.
Klar, die Huffington, die kennt man. Huffington Post. Immer wieder als nettes Beispiel für erfolgreiche Blogs bzw. Webseiten zitiert. Muss man nicht mögen, aber klar, gehört hat man davon schon mal. Und da findet man auch „Off the Bus“ – ein Blog, das damals während der Kampagne zur Präsidentenwahl 2008 das Ganze begleitete – wie Schneider anspricht durchaus als „unabhängig“ zu verstehen. Schneider erweckt auch nicht den Eindruck als ob das Teil aktuell wäre. Jedoch und allerdings mal zur Verdeutlichung: 2008 ist zwei Jahre her. Das Blog dicht. Und Arianne Huffington war durchaus nicht, wie Schneider offenbar mein die alleinige Autorin, es war ein Gemeinschaftsblog. Kann man noch alles nachschauen wenn man möchte. Aber wichtig, ja, wichtig war es schon. War. Vergangenheit. Warum Schneider ausgerechnet eine Blogleiche als „wichtig“ für die Blogosphäre herausstellt? Zeugt nicht gerade von Einblick in die aktuelle amerikanische Blogosphäre.
Namenlose Blogger
Jetzt aber: Wichtige und tolle Blogs gibts auch in Deutschland! Ja! „Von einigem journalistischem Wert“ sogar. Toll! Da erwartet man ja jetzt wenigstens ein Beispiel, eine URL, einen Namen – irgendwas, was Herr Schneider wirklich toll findet. Denn wenn er was toll findet darf er das doch sagen. Ein Blog von diesen „Amateurjournalisten“ – eine URL – ein Titel – irgendwas. Fehlanzeige. Wenn Herr Schneider undifferenziert über China schwafelt und dann wenigstens die Huffington nennt – vermutlich, weil man die halt kennt auch wenn man nicht so in der Blogosphäre drin ist – dann sollte der Herr ja wohl auch wenigstens ein wertvolles deutsches Blog nennen können. Tut er nicht. Stattdessen redet er davon, dass die DPA ja auch durchaus diese wertvolleren deutschen Blogs jetzt durchforstet und in den Dienst reinnehmen wird – was eine Meldung ist, die mir neu ist, aber okay, wenn die DPA was von ihren Erlösen an die Blogger abgibt wenn die deren Content nutzt… Jedenfalls ahnt man an dieser Stelle, dass dem Herrn Schneider das irgendwie so gar nicht recht ist.
Nächste Kategorie: Abscheuliche Blogs, in denen gelogen und verleumdet wird. Ja, die gibt es. Allerdings fehlen auch hier irgendwelche Beispiele. Erneut nur wieder die Flucht in allgemeine Worthülsen und das Bedauern darüber, dass es sowas gibt. Bedauere ich auch. Ändern kann ich das nun auch nicht, aber ich kann mir ja als mündiger Mensch selber aussuchen was ich lesen möchte. So wie Herr Schneider auch, der für seine dritte Kategorie tatsächlich mal aus einem Blog zitiert. Ach, die dritte Kategorie bei ihm? Die furchtbar einsamen Blogger.
Klischeegefahr
Es gibt ja so Blogs, aus denen trieft förmlich die Einsamkeit. Wenn man Herrn Schneider Glauben schenkt, der natürlich standesgemäß sich einen Blogtext ausgedruckt hat – obwohl der Laptop offen auf den Tisch steht. Na ja, jeder nach seinem Geschmack aber das ist schon ein Wink mit dem Zaunpfahl wessen Weltsicht hier dominiert. Jedenfalls zitiert Schneider einen Text aus einem Blog – ohne URL, ohne Titel, ohne seine Quelle zu nennen. Darf man das als Journalist? Natürlich nicht, aber als Blogger schon. Wobei es auch da höflicher ist zumindest die Quelle anzugeben – nun ja.
Das Blog muss schon etwas älteren Datums sein, denn es geht im Text um den Tibet-Konflikt. Ja, das ist schon ein wenig her und ich musste auch mehrmals oben auf das Datum der Kolumen schauen – nicht dass ich etwas kritisiere was schon ein Jahr oder länger im Netz zu finden ist aber ne, 04.01. als Veröffentlichungsdatum steht obendrüber. Gestern wars also. (Übrigens, liebe Süddeutsche: Warum der Hyperlink, den ich eigentlich als Hinweis auf eine Gesamtübersicht aller Videbeiträge empfand mein Mailprogramm öffnet, das erklärt mir mal in einer ruhigen Stunde, hmmm? Und warum der RSS-Feed nicht geht? Na ja, lassen wir das jetzt mal.)
Die Ironie eines Kaffehauses
Welches Blog erwähnt Herr Schneider denn jetzt? Ganze einfach: Er bezieht sich auf den Artikel von Herrn Wirres „Sonnatgs im kaffehaus„. (Sic.) Vielleicht hätte Herr Schneider sich mal den ganzen Artikel ansehen sollen, denn um Politik und Tibet und China – darum geht es eigentlich gar nicht. Es geht um das Zeitunglesen in einem öffentlichen Cafe und die Qualität, die das für Herrn Wirres gegenüber online lesen hat – das dürfte Herrn Schneider doch freuen: Siehe da! Print ist nicht tot! Es ist nur anders! Vor allem: Der Artikel stammt von – na – richtig: 2008! Superaktuelles Beispiel also.
Natürlich ist der Artikel lang, klar, aber das Wesentliche entgeht Herrn Schneider. Denn das, was Schneider hier dem Blogger vorwirft hat der nämlich gemacht. Er hat zuerst gedacht. Nämlich darüber nachgedacht wie das ist, wenn man einen Artikel in der Zeitung gemütlich in einem öffentlichen Cafe liest oder halt zuhause online am Bildschirm. „die zeitung bietet weniger ablenkung. zeitung lesen ist kontemplativ, in zeitungen kann man versinken, man kann sich sogar dahinter verstecken.“ Ein Lob des Print, Herr Schneider! Von einem Blogger! Solls geben! Ja, im letzten Absatz ist auch Tibet genannt, weil die FAS im März an diesem Tag des Jahres 2008 mehrere Artikel zu dem Thema hatte. Und dass Tibet alles andere als einfach zu erklären ist müsste Herrn Schneider allerdings selbst klar sein – Politik ist nie so ganz einfach. Stattdessen aber kanzelt Herr Schneider Herrn Wirres ab.
Nachrichten aus dem Paralleluniversum
Es fällt auf, dass alle Beispiele aus dem Jahr 2008 stammen. Sowohl das Huffington-Beispiel als auch der Blogbeitrag bei Herrn Wirres. Angesichts eines aktuellen Videoblogs – pardon – Videokolumne mutet das reichlich seltsam an. Entweder Herr Schneider ist wirklich nicht auf dem Laufenden was die Blogosphäre betrifft, durchaus keine Schande, oder das Video ist tatsächlich 2008 aufgezeichnet worden und jetzt erst losgelassen worden. Was davon stimmen mag sei dahingestellt. Doch ob 2008 oder nicht – es zeigt sich mal wieder, dass die digitale Kluft zwischen Bloggern und Journalisten immer noch klafft und die Diskussion wird jetzt erneut hochschaukeln.
Dabei ist Herr Schneider vor allem eins: Ein alter Herr. Ein Vertreter der Generation also, die sich sowas wie das Leistungsschutzrecht oder den Bezahlcontent ausdenken und die vor allem eins nicht verstanden haben: Das Internet. So an sich. Wenn Herr Schneider keine Blogs mag, dann soll er sie nicht lesen. Und anstelle einer fundierten Text- und Stilkritik, die ihm besser gestanden hätte, doziert er in altlehrerhafterweise darüber, wie das mit den Blogs so ist. Mutig nach immerhin schon neun ganzen Kolumnen. Video wohlgemerkt. Nicht Text. Aber das, was Herr Schneider da in die Kamera spricht hätte textlich noch kläglicher gewirkt. Vielleicht weiß er es. Jedenfalls: Die Diskussion Blogger gegen Journalisten respektive Stilpäpste ist mal wieder eröffnet und die nächsten Tage und Monate wird es entweder sehr lustig oder sehr traurig. Einsam aber bestimmt nicht.