Es gibt ein Recht auf Leben, aber keine Pflicht zu leben – Diakonie RWL zum Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Sterbehilfe
Mit Zustimmung reagiert die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe und der Fachverband Hospiz- und Palliativdienste auf das heutige Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zur Sterbehilfe. Deutsche Behörden und Gerichte müssen das Ansinnen eines Angehörigen prüfen und dürfen es nicht einfach abweisen, denn ethische Fragestellungen am Lebensende lassen sich nicht pauschal beantworten, sondern müssen individuell betrachtet werden.
„Es gibt ein Recht auf Leben, aber keine Pflicht zu leben“, so fasst Ulrich Christofczik, Geschäftsbereichsleiter für Pflege und Altenhilfe der Diakonie RWL seine Reaktion auf das Urteil zusammen. Statt mit juristischen Spitzfindigkeiten einer Klärung von ethischen Fragen aus dem Weg zu gehen, müsse die Gesellschaft die Sorgen und Nöte der betroffenen Menschen wirklich Ernst nehmen. Ein moralisches Verdammen der Sterbewilligen sei dabei der falsche Weg, denn ein schlechtes Gewissen, ist das Letzte, was diese Menschen bräuchten. „Sie brauchen unseren Beistand, unsere Begleitung, unsere Lobby, unsere Pflege, unsere Schmerztherapie und unsere christliche Hoffnung“, so Christofczik weiter.
Hospiz-Angebote ausbauen
Statt juristischer Grabenkämpfe um die Möglichkeit und die Form des Suizids zu führen, wären nach Ansicht der Diakonie RWL eher gesamtgesellschaftliche Anstrengungen von Nöten, damit eine bewusste Sterbekultur ermöglicht werden kann. „Die Praxis in der Hospizarbeit hat gezeigt: Vielfach weicht der Wunsch nach Sterbehilfe einem Bedürfnis nach begleitetem, würdigen, schmerzfreien Sterben, wenn es dazu die Möglichkeiten gibt.“ Leider fehlen an vielen Stellen die finanziellen Ressourcen um der steigenden Zahl schwerstpflegebedürftiger Menschen eine angemessene Palliativpflege – ambulant wie stationär – bieten zu können. So gibt es noch immer kein flächendeckendes Angebot in der ambulanten Palliativversorgung, weil die finanziellen Rahmenbedingungen für Palliativpflegedienste unzureichend sind. Daher ist und bleibt das ehrenamtliche Engagement unverzichtbarer und wesentlicher Bestandteil der Hospizarbeit. Allein bei den Hospizdiensten der Diakonie RWL sind mehr als 1.000 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer aktiv. Im Bereich der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe gibt es 65 ambulante Hospizdienste, 16 stationäre Hospize und 12 Palliativstationen in evangelischen Krankenhäusern.
Keine Entscheidung über Sterbehilfe
Die eigentliche Fragestellung, die Auslöser für den Rechtsstreit war, ob eine Sterbewillige ein tödliches Mittel verweigert werden darf oder nicht, hat der EGMR nicht entschieden. Das Gericht betont, dass diese Entscheidungshoheit bei den nationalen Gerichten liegen müsse, da unter den Mitgliedstaaten des Europarats kein Konsens hinsichtlich der Zulässigkeit jeglicher Form der Beihilfe zur Selbsttötung bestehe. Nur vier von 42 Staaten erlauben, nach Angaben des EGMR, Patienten ein tödliches Medikament zum Zweck der Selbsttötung zu verschreiben. Diese unterschiedliche Praxis hat schon die Gemeinschaft der evangelischen Kirchen in Europa in einer Orientierungshilfe „Leben hat seine Zeit und Sterben hat seine Zeit“ aufgezeigt. „Die ethischen Fragen rund um Sterbehilfe und Selbsttötung machen nicht an Landesgrenzen halt, darum ist eine europaweite Diskussion zu diesen Themen wünschenswert“, so Ulrich Christofczik.
Hintergrund
Der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen als passive Sterbehilfe oder das Verabreichung starker Schmerzmittel, die auch lebensverkürzend wirken können, sind in Deutschland nicht strafbar, wenn diese Möglichkeiten in einer Patientenverfügung bejaht wurden. Beihilfe zu einem Suizid durch Bereitstellen von tödlichen Mitteln ist ebenfalls nicht strafbar, allerdings können Helfer wegen unterlassener Hilfeleistung juristisch belangt werden, wenn sie beim Suizidversuch anwesend sind und keinen Notarzt rufen.
Eine aktive Tötung auf Verlangen dagegen ist strafbar und kann mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden.