Nach der OB-Stichwahl in Duisburg: Sorgen um die Demokratie
Die Duisburger haben gewählt. Sören Link zum Oberbürgermeister. Allerdings: nicht ganz so viele haben gewählt. Das wiederum hat dazu geführt, dass andere Duisburger … oder auch welche aus der Gruppe dieser Duisburger … – wie auch immer: im jeden Fall noch weniger Duisburger, als sich jetzt Sorgen um die Demokratie machen. Ob nun allein um die Demokratie in Duisburg oder um die Demokratie überhaupt, lässt sich nicht so ganz genau herausfinden. Darauf kommt es aber letztlich auch nicht an. Sich Sorgen um die Demokratie zu machen, kann so ganz verkehrt nicht sein.
Die Wahlbeteiligung lag nämlich bei der Stichwahl am Sonntag bei 25%. Das hat zwar niemanden wirklich überrascht; denn zwei Wochen zuvor, beim ersten Wahlgang, haben auch nur etwa 30% der Wahlberechtigten mitgemacht. Dafür ließen sich die Ursachen benennen, und selbstverständlich war jedem klar, dass die Quote bei dieser etwas grotesk anmutenden Stichwahl noch einmal niedriger liegen würde. Sören Link hatte die 50-%-Marke nur knapp verfehlt, während sein CDU-Konkurrent etwas mehr als 20% bekam. Aber klar: wer bei einer Direktwahl nicht die absolute Mehrheit schafft, muss in die Stichwahl. Diese Regel macht Sinn.
Das Ergebnis war folglich wenig überraschend: Link gewann mit 78% zu 22%. Aber eben diese Wahlbeteiligung! Zwar gingen etwas mehr Wähler an die Urne als die, die als beim ersten Mal für Link oder Lensdorf gestimmt hatten. Aber trotzdem! 25% Wahlbeteiligung – da macht man sich schon Sorgen um die Demokratie. Natürlich vor allen Dingen diejenigen, die nicht für Link als OB waren. Doch weil Wahlbeteiligung etwas Tolles ist, fast so toll wie die Demokratie herself, sind pflichtgemäß freilich auch die Link-Anhänger, sprich: die Sozialdemokraten, jetzt ebenfalls in Sorge um die Demokratie.
Sollten Sie also ein Duisburger sein oder zumindest in der Nähe von Duisburg wohnen und in den nächsten Tagen auf politisch interessierte Menschen aus Duisburg oder aus der Umgebung von Duisburg treffen, geben Sie am besten einfach mal zu Protokoll, dass auch Sie in Sorge um die Demokratie sind. Damit können Sie nichts falsch machen; im Gegenteil: Sie legen damit gleichsam Zeugnis dafür ab, dass Sie politisch besonders sensibel sind. Und das Beste: einerseits outen auch Sie sich mit diesem Sorgenbekenntnis als demokratisch bis zum Gehtnichtmehr, anderseits lassen Sie erkennen, dass das gemeine Volk – eigentlich braucht man nicht drüber zu reden – blöd wie Brot ist. Optimal!
Ganz weit vorn in dieser Hinsicht ist die Duisburger Piratenpartei. Die Piraten Duisburg nennen OB-Wahl ein “Desaster für die Demokratie”. Rumms, das sitzt. „Desaster“, lesen wir bei Wikipedia, „bedeutet Unglück, Unheil, Zusammenbruch, Katastrophe, Fiasko oder Debakel“. Mehr nicht. Wenn Sie Genaueres wissen wollen, müssen Sie die entsprechenden Begriffe bei Wikipedia anklicken. Doch ich denke, allein diese hübschen Substantive machen klar: schön ist das nicht, so ein Desaster. Und jetzt haben wir es mit einem Desaster für die Demokratie zu tun. Na klar: wegen der geringen Wahlbeteiligung bei der OB-Stichwahl in Duisburg.
Weswegen auch sonst?! Etwa deswegen, weil Duisburgs Politiker, auch die mit etwas höherer Wahlbeteiligung gewählten, sowieso nur Beschlüsse fassen können, die am besten gar nichts kosten dürfen, die aber in jedem Fall Gnade in den Augen der Regierungspräsidentin finden müssen. Die kassiert nämlich sonst alles, was die demokratisch gewählten Duisburger Volksvertreter beschließen und, was gar nicht so aus den Fingern gesaugt, sondern wie ein Damoklesschwert allgegenwärtig ist, setzt ihnen einen Staatskommissar vor die Nase, auf dass die um die Demokratie besorgten Damen und Herren überhaupt nichts mehr zu sagen haben.
Dies freilich ist kein „Desaster für die Demokratie“, sondern eher so eine Art „Sieg der Vernunft“, weil jetzt wirklich einmal – das weiß ja jeder – gespart werden muss. Wir kennen das ja aus Europa. Die Schuldensünder im Süden müssen sparen, dass es nur so kracht. Da brauchen die mit Demokratie und diesem Kram gar nicht erst zu kommen. Und auch hier in Deutschland haben die Bundestagsabgeordneten und die Landesregierungen stets Gewehr bei Fuß zu stehen für den Fall, dass Frau Merkel sich Beschlüsse abnicken lassen muss, die die Krise zwar nicht lösen, aber alle teuer zu stehen kommen.
Ein „Desaster für die Demokratie“? Ach was! Im Gegenteil: die Parlamentarier halten sich doch sogar extra einen Tag frei, falls noch eine Sondersitzung anstehen sollte. Für verfassungsmäßig vorbildliches Zustimmen. Sorgen um die Demokratie? Na klar, in Duisburg schon. Bei solch einer Wahlbeteiligung muss man die sich schon machen. Aber so insgesamt? In ganz Deutschland und so? Nun, anderswo sind die Menschen nicht ganz so sensibel wie in Duisburg. Sie haben dort zwar auch von der geringen Stichwahlbeteiligung erfahren, weil sie in allen Medien gemeldet wurde. Es hat sie aber wohl nicht so beunruhigt wie uns hier.
Die sagen sich vermutlich: „Sorgen um die Demokratie? – Ach Quatsch! Wir haben doch den Verfassungsschutz. Der passt doch darauf auf, auf die Demokratie.“ Genau! Genau an dem Tag, als der Bundestag über die Neonazi-Datei abstimmte, hatte der Verfassungsschutz die NSU-Akten geschreddert. „Konkret: Eine Bundesbehörde hat die Ermittlungen einer anderen Bundesbehörde mutwillig behindert. Im schlimmsten Fall sogar unmöglich gemacht“ (FTD). Sie erinnern sich vielleicht: die Zwickauer Terrorzelle, die über ein Jahrzehnt Männer türkischer Abstammung ermordet hatte, nannte sich „Nationalsozialistischer Untergrund“, also NSU. Weiter im Text der FTD:
„Die Mordserie der NSU wurde Anfang November letzten Jahres bekannt. Am 10. November gab der Verfassungsschutz die interne Anweisung heraus, alle Akten auf Hinweise zur Zwickauer Terrorzelle zu überprüfen. Einen Tag später zog der Generalbundesanwalt die Ermittlungen an sich. Und wiederum einen Tag später vernichtete ein Referatsleiter des Bundesamts für Verfassungsschutz sieben Akten mit Bezug zur NSU. Später gab er auch noch an, die Akten seien bereits zehn Monate früher routinemäßig vernichtet worden. Diese Beweisvernichtung wirft viele Fragen auf.“
Viele Fragen, wohl wahr. Aber eben nicht die Frage danach, warum bei der Duisburger OB-Stichwahl nur etwa 25% der Stimmberechtigten teilnehmen wollten. Also eben nicht die zentrale Frage danach, warum und wie und ob wir uns Sorgen um die Demokratie machen müssten. Nun gut, diese Frage ist freilich längst beantwortet. Natürlich müssen wir uns Sorgen um die Demokratie machen. Denn sie hatte ja ein Desaster erlebt, die Demokratie. Vorgestern in Duisburg. Diese Wahlbeteiligung! Keine Demokratie ohne Demokraten, sage ich immer. Da können die Demokratie-Profis routinemäßig alles vernichten, was die Demokratie irgendwie stören könnte. Wenn diese Duisburger Vollpfosten einfach keinen Bock haben, wählen zu gehen, nützt das alles nichts.