Der gute Frankie und die bösen Ratingagenturen: „Leicht rat- und verständnislos“
„Leicht rat- und verständnislos“ habe er auf sie gewirkt, schreiben die WAZ-Redakteure Kerl und Sanches. Er wundere sich, hatte er ihnen erzählt, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) „auf einem anderen Stern“ lebe. Zugegeben: das ist wirklich komisch. Denn ein Stern ist eine „selbstleuchtende Gaskugel“, die an der Oberfläche „einige Tausend Grad heiß“ ist (Wikipedia). Ein Stern ist mithin eine Sonne, und dass Frau Merkel dort leben soll, macht mich wiederum mich leicht rat- und verständnislos.
Er, das ist Frank-Walter Steinmeier, seines Zeichens Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. 23-Prozent-Frankie ist nun nicht etwa deshalb „leicht rat- und verständnislos“, weil er dem Glauben anhängt, Merkel lebe auf einem Stern, sondern vielmehr deshalb, weil er zu der Auffassung gelangt ist, dass „Kanzlerin Merkel auf einem anderen Stern“ lebe. „Auf einem anderen Stern als ihr Kabinett, die FDP und Bundespräsident Christian Wulff“. Wahre Liebe ist etwas Anderes, wie wir vom Pop-Duo mit dem aufschlussreichen Namen „Ich und ich“ erfahren durften.
Du bist vom selben Stern
Ich kann deinen Herzschlag hör’n
Du bist vom selben Stern
Wie ich (wie ich – wie ich)
Weil dich die gleiche Stimme lenkt
Und du am gleichen Faden hängst
Weil du das Selbe denkst
Wie ich (wie ich – wie ich)
Der Bundeskanzlerin seien derart edle Gefühle also fremd, befindet der Oppositionsführer. Jedenfalls gegenüber ihrem Kabinett, der FDP und dem Bundespräsidenten. Der Grund für Frankies leichte Rat- und Verständnislosigkeit. Ich frage mich unterdessen, ob der Job eines Oppositionsführers eigentlich nicht vornehmlich darin besteht, die negativen Seiten eines Regierungschefs aufzuzeigen. Dass Merkel anders sei als ihre Minister, als die FDP oder als der schnorrende Bundespräsident, dürfte ihr ja wohl kaum als Schwachstelle anzukreiden sein.
Nun gut, das geht mich nichts an. Das ist eine persönliche Sache. Steinmeier und Merkel, da mische ich mich nicht ein. „Ich und ich“, ich kann deinen Herzschlag hör’n, Du bist vom selben Stern – man will ja nicht indiskret sein. Da halte ich mich raus. Jedoch hat 23-Prozent-Frankie in dem Interview, das gestern in der WAZ erschienen ist, nicht nur Persönliches zum Besten gegeben, sondern auch politische Meinungsäußerungen. Diese haben mich allerdings keineswegs nur leicht, sondern zunächst einmal völlig rat- und verständnislos gemacht.
Ich weiß nicht: am Donnerstag ist Steinmeiers WAZ-Interview erschienen, am Mittwoch – also einen Tag zuvor (!), am 18. Januar – Jürgen Trittins Beitrag in der FTD. Jetzt frage ich mich: hatte Steinmeier den Text nicht gelesen? Nicht verstanden? Ist er anderer Meinung? Ich meine: das darf er ja. Möglich ist freilich auch, dass das WAZ-Interview schon ein paar Tage alt ist und sie es erst am Donnerstag veröffentlicht hatten. Wir können dies ja mal zu seinen Gunsten annehmen. Das wäre natürlich jammerschade.
Denn der Trittin – wie Sie wissen, ist der ja auch ein Fraktionsvorsitzender – hatte das alles so schön erklärt. Das mit diesen Ratingagenturen, auf die einzudreschen sich mittlerweile als Volkssport für die sog. „politische Klasse“ entwickelt hat. „Die Ratingagenturen sollten nicht kritisiert werden, wenn sie Ramsch als Ramsch bezeichnen“, befand Steinmeiers grüner Kollege, und: „Die Politik von Kanzlerin Merkel ist tatsächlich untauglich, die Krise in den Griff zu bekommen.“ So Trittin. So wünscht man sich einen Oppositionsführer.
Und weiter: „Arm in Arm schimpfen Gregor Gysi, Guido Westerwelle und Wolfgang Schäuble auf Standard & Poor’s … Reflexhaft gefällt sich eine Allianz aus Neoliberalen und Staatssozialisten im Bashing der – amerikanischen (!)- Ratingagentur.“ Gut, Jürgen Trittin konnte nun wirklich nicht wissen, dass sich 23-Prozent-Frankie bereitwillig in diese Allianz einhakt. Andererseits: so eine Prise Populismus, so ein wenig Schüren antiamerikanischer Ressentiments. Der kennt doch den Steinmeier, der Trittin!
„Ratingagenturen werden zum Sündenbock für die anhaltende Krise gestempelt. Da macht sich bei Linken, Liberalen und CDU eine Prise Antiamerikanismus gut. Wer hätte gedacht, dass sich Gysi und Westerwelle hier mal einig sind?“, fragt Trittin, möglicherweise rhetorisch. Nun ja, ich zum Beispiel. Und dass sich Steinmeier freudig einreiht, ehrlich gesagt: „völlig rat- und verständnislos“ war ich nur bei der Lektüre – so als erste Reaktion. Das hat sich inzwischen längst gelegt; leichte Rat- und Verständnislosigkeit hebe ich mir für überraschendere Ereignisse auf.
Warum die Kritik an den Ratingagenturen völlig an der Sache vorbeigeht und worin die tieferen Ursachen der dramatischen Eurokrise bestehen, erfahren Sie in Jürgen Trittins Beitrag mit dem Titel „Standard & Poor’s hat recht“, den ich Ihnen dringend ans Herz legen möchte. Sie finden ihn hier in der FTD. Und was sagt sein sozialdemokratischer Kollege, unser 23-Prozent-Frankie? Ebenfalls nochmal: das Steinmeier-Interview haben Sie hier. Die WAZ legt sofort los mit der Frage: „Herr Steinmeier, welche Folgen hat die Abstufung von Euro-Ländern und des EFSF durch eine Ratingagentur?“
Steinmeiers Antwort tut nichts zur Sache; sie dient allein dazu, den Lesern eine Spur von Sachkenntnis vorzugaukeln. Also gleich zur zweiten Frage: „Brauchen wir eine europäische Ratingagentur?“ Steinmeier: „Ja, davon bin ich fest überzeugt.“ Zack, das ist mal eine Antwort. So richtig nach dem Geschmack des Publikums, das immerhin weiß, dass Europäer keine Amerikaner sind. Das allerdings nicht weiß, auch nicht wissen kann, dass die für die Bewertung europäischer Staatspapiere zuständigen Ökonomen fast ausschließlich Europäer sind.
Ich weiß nicht, ob Steinmeier das weiß. Was er freilich weiß, ist, dass sein markiges „Davon bin ich fest überzeugt“ ein ziemlich populistischer Blödsinn ist, weshalb er sogleich ergänzt: „Wir dürfen uns dadurch jedoch keine Wunderheilung erhoffen.“ Ein Geeiere, wie sich Klein-Fritzchen die SPD vorstellt. Und wir hatten schon gedacht, wenn bloß keiner mehr auf die bösen amerikanischen Ratingagenturen hören würde, hätten wir auch keine Eurokrise mehr. Tja. Und warum dürfen wir „keine Wunderheilung erhoffen“?
Steinmeier: „Alle arbeiten mit den gleichen Daten.“ Boah, der hat aber auch Ahnung, dieser 23-Prozent-Frankie! Und weiter: „Die Ratingagenturen müssen sich aber den Vorwurf gefallen lassen, dass sie dieselben Daten ganz unterschiedlich bewerten.“ Tja, wird wohl. Wenn man bedenkt, dass es bei Moody´s und Fitch noch die Bestnote gibt, bei S&P aber nicht mehr. Bei der chinesischen Agentur übrigens auch nicht. Und überhaupt: sollten Sie den Wunsch verspüren, Geld in Staatsanleihen anzulegen, halten Sie sich einfach vor Augen, dass mit dem Zinssatz auch das Risiko steigt.
Für diese Banalität braucht kein Mensch eine Ratingagentur. Selbstverständlich stellen französische und österreichische Staatsanleihen eine ziemlich sichere Investition dar; sie sind aber nicht ganz so sicher wie deutsche Bundesanleihen, sonst wären ja ihre Zinssätze nicht höher. So schwer ist es doch gar nicht. S&P hat recht, Moody´s und Fitch haben unrecht; demnächst werden sie nachziehen. Dann geht das Geschrei wieder von vorne los. Kein Mensch braucht diese Ratingagenturen, außer als Sündenböcke.
„Sie ignorieren zum Beispiel den Zielkonflikt zwischen Stabilität und Wachstumsimpulsen“, erzählt Steinmeier der WAZ. Das ist aber wirklich falsch. S&P legt sehr genau dar, dass Merkels rigorose Sparpolitik Europa jeglicher Wachstumschancen beraubt und auf diese Weise die Verschuldung der europäischen Länder – der relativ „gesunden“ wie der überschuldeten – in gefährliche Höhen treiben wird. Wenn Steinmeier das nicht weiß, hätten es ihm doch wenigstens seine Berater sagen können.
Doch 23-Prozent-Frankie will Angie nicht allzu hart angehen. Lieber ein wenig Gesülze à la „Ich und ich“ vom Leben auf demselben oder halt einem anderen Stern. Lieber die Forderung nach einer europäischen Ratingagentur, die dann auch dieselben Daten unterschiedlich bewerten würde. Lieber all so ein belangloses Gequater als substanzielle Opposition zur Merkel-Politik. Lieber Große Koalition als eine sozialdemokratische Alternative.
Lieber Steinmeier – nach Möglichkeit noch angereichert mit Steinbrück – als die dringend gebotene Wende in der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik.