"Das typische Mobbingopfer gibt es nicht!" – Ein Gespräch mit Dr. Karl Gebauer
Bad Rodach (ots) – Wenn Kinder in der Schule oder bereits im Kindergarten Opfer von Gewalt werden, hat das oft psychische Auswirkungen auf ihr ganzes Leben. Mobbing ist eine Art von Gewalt, die Opfer in eine Ecke drängt, aus der sie ohne Hilfe nicht mehr herauskommen. Viel zu oft wird indes vergessen: Auch Täter benötigen dringend eine helfende Hand. Im folgenden Kurzinterview beantwortet Dr. Karl Gebauer Fragen von Eltern, die sich Sorgen um ihr Kind machen – weil es Opfer oder Täter auf dem Mobbingterrain "Schulhof" geworden ist.
Woran merke ich, dass mein Kind gemobbt wird?
Wird ein Kind gemobbt, können Eltern, Lehrer oder andere nahestehende Personen es an verstreuten einzelnen Äußerungen erkennen. Aufgabe der Eltern ist es, diese Einzelteile zu erkennen und zusammenzufügen. Die Kinder klagen dann beispielsweise über Kopf- oder Bauchschmerzen, möchten nicht mehr zur Schule gehen oder sie erzählen vereinzelt Dinge wie "Mein Mathebuch ist weg" oder "Meine Fahrradklingel ist kaputt". Oft verschlechtern sich diese Kinder auch rapide in der Schule. Manchmal vertrauen die Kinder sich sogar ganz ihren Eltern an und erzählen ihnen alles – ein Glücksfall.
Wie kann ich meinem Kind helfen, wenn es gemobbt wird?
Erste wichtige Regel: Eltern sollten ihr Kind unbedingt ernst nehmen und ihm glauben! Zweite wichtige Regel: Eltern sollten nichts ohne das Wissen des Kindes in die Wege leiten! Das sollten sie ihrem Kind glaubhaft versichern. Denn es weiß genau, dass es in der Schule ganz allein ist und in der Mobbingsituation ihm weder Eltern noch Lehrer helfen werden. Dieses Angstgefühl ist sehr intensiv. Oft reden Eltern übereilt mit der Klassenlehrerin. Diese klagt die Klasse offensiv an, die Mehrheit der Schüler bestreitet natürlich die Taten. Das Resultat: Entweder das Kind wird noch mehr gequält oder das Opfer steht als Lügner da. Deswegen sollten Eltern mit ihrem Kind besprechen, was sie machen können, gegebenenfalls gemeinsam zum Lehrer gehen. Im schlimmsten Fall müssen Eltern ihr Kind sofort aus der Schule nehmen, um es vor psychischer und physischer Gewalt zu schützen.
Wo hört Ärgern auf, wo fängt Mobbing an?
Mobbing ist es dann, wenn ein einzelnes Kind von den Aktionen betroffen ist. Beim Mobbing gibt es einen Täter. Um ihn gruppieren sich Helfer, sogenannte aktive Mitläufer. Und es gibt passive Mitläufer, die hauptsächlich beobachten und hin und wieder auch mitmachen, um nicht negativ aufzufallen. Alle Aktivitäten zentrieren sich auf ein Kind. Das Opfer kann sich daraus nie allein befreien. Es braucht immer Hilfe von außen.
Was kann ich machen, wenn mein Kind andere Kinder mobbt?
Das merken Eltern leider spät oder gar nicht. Denn Täter zeichnet ein hohes Maß an Klugheit aus, wenn es darum geht, ihre Tat unentdeckt zu lassen. Täter wollen zwar treffen, wollen selbst aber nicht entdeckt oder bestraft werden. Oft sind Mobber sogar sehr angepasste, freundliche Schüler. Viele Eltern weisen Vorwürfe leider von sich, wenn ihr Kind beschuldigt wird. Es braucht große Kompetenz der Lehrkraft, die Eltern so zu informieren, dass sie bereit sind, mit ihrem Kind konstruktiv zu sprechen. Gelingt es, dann heißt der nächste Schritt "Wiedergutmachung". Zum Beispiel in Form eines entschuldigenden Briefes des Täters. Das kann sehr heilsam sein – für beide Parteien.
Wie bereite ich mein Kind auf den Kindergarten- und Schulalltag vor, damit es nicht gemobbt wird?
Das Wichtigste ist der Aufbau eines gesunden Selbstwertgefühls und eines Vertrauensverhältnisses zwischen Eltern und Kind. Kinder mit einem guten Selbstwertgefühl haben keine Veranlassung zu mobben und wissen eher, wie sie sich wehren, wenn sie zum Opfer werden und wo sie Hilfe bekommen. Denn jedes Kind kann, entgegen weitläufiger Meinung, zum Opfer werden. Es gibt nicht das typische Mobbingopfer.